Auch Ärzten droht jetzt eine Prozesslawine
von Franz-Günter Runkel
Am 4. Juni trat das
Antikorruptionsgesetz in Kraft. Ist seitdem die vom Pharmaunternehmen
gesponserte Kongressreise oder das Abendessen mit dem Industrievertreter
illegal? Und was ist eigentlich mit den beliebten Anwendungsbeobachtungen?
Zwei Anwälte und zwei Ärzte mühten sich auf der IQUO-Jahrestagung in Berlin um
griffige Antworten auf heikle Fragen. Allerdings lässt das unpräzise
formulierte Gesetz viel Raum für Verdächtigungen und zweifelhafte Ermittlungen
eifriger Staatsanwälte.
Am Anfang stand eine einfache Frage: Ist ein Kassenarzt
Beauftragter einer Krankenkasse? Falls ja, ist die Bestechung von
Vertragsärzten, die ein Pharmaunternehmen ziemlich schamlos betrieben hatte,
Korruption und damit strafbar. Das Landgericht Hamburg verstand den Arzt als
Beauftragten der Krankenkassen und sprach die Angeklagten schuldig. Die
involvierte Pharmareferentin zog nach dem Urteil vor den Bundesgerichtshof. Im
Juni 2012 entschied dann der BGH, dass das Strafrecht keine entsprechende
Regelung für den niedergelassenen ärztlichen Bereich kennt.
Schwierige Hausaufgaben
des BGH für den Gesetzgeber
des BGH für den Gesetzgeber
Der BGH befand aber auch, dass der Gesetzgeber klären
müsse, ob er die Korruption im Gesundheitswesen nun unter Strafe stellen
möchte. In diesem Fall müsse der Gesetzgeber ein neues Gesetz schaffen. 2015
gab es daher zunächst einen Referentenentwurf zur Änderung des
Strafgesetzbuchs. Im April 2016 wurde das Gesetz dann im Bundestag
verabschiedet. Der Bundesrat stimmte im Mai zu.
Der Interessenverband zur
Qualitätssicherung der Arbeit niedergelassener Uroonkologen in Deutschland sah
offenbar Aufklärungsbedarf und befasste sich in einer gesundheitspolitischen
Sitzung anlässlich des Jahreskongresses in Berlin mit dem neuen
Antikorruptionsgesetz und seinen Folgen für die ärztliche Praxis. Die Potsdamer
Rechtsanwältin Stephanie Kollwitz ist Fachanwältin für Medizinrecht und
moderierte die Veranstaltung.
Stephanie Kollwitz
versuchte zunächst, die quantitative Dimension der Korruption zu beschreiben.
Die Rechtsanwältin zitierte einen Bericht des Europäischen Netzwerks zur
Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (European Healthcare
Fraud and Corruption Networks, EHFCN) aus dem Jahr 2010. Von einer Billion
Euro, die für Gesundheit pro Jahr ausgegeben werden, würden 5,6 % oder 56
Milliarden Euro aufgrund von Betrug und Korruption verloren gehen. In
Deutschland hat die Bundesärztekammer von 2008 bis 2012 930 Korruptionsfälle
ermittelt. „Bei 480 dieser Fälle wurde festgestellt, dass die Industrie
Zuwendungen an Ärzte gezahlt hat. Lediglich 163 dieser 480 Fälle konnten aber
berufsrechtlich geahndet werden. Die Missbrauchsbekämpfungs-stelle der AOK
Nordost hat für 2014 alleine 713 Fälle von Korruption ermittelt. In 155 Fällen
hat die AOK Nordost Strafanzeige erstattet“, so Kollwitz.
Aber gibt es überhaupt Korruption unter Ärzten? Für den
Berliner Frauenarzt Dr. Jörg Schilling, den
Vorsitzenden des Berufsverbands der niedergelassenen gynäkologischen Onkologen
(BNGO), war der Fall klar: „Ich glaube nicht, dass die Ärzte korrupt sind. Bei
einzelnen Personen mag der Tatbestand erfüllt sein, aber das gilt nicht
generell.“
Dr. Götz Geiges, Facharzt
für Urologie seit 1997 und Vorstandsvorsitzender des IQUO, betrachtete das neue
Gesetz aus einem historischen Blickwinkel. „Der amerikanische Sunshine Act
[Transparenzpflicht z. B. der Ärzte und der Pharmaindustrie in den USA,
Anm. d. Red.] und der Ratiopharm-Skandal in Deutschland haben zum Bild des
korrupten Arztes in Abhängigkeit von der Pharmaindustrie geführt. Ich denke,
dass es korrupte Ärzte und korrupte Bereiche in Pharmafirmen gibt. Trotzdem
habe ich bei diesen Statistiken immer Zweifel. Wir müssen für eine maximale und
sinnvolle Transparenz sorgen. Wir müssen uns aber auch vor Mutmaßungen und
ungeprüften Übertragungen hüten“, so Geiges.
Geiges sah im Thema Korruptionsverdacht vor allem ein
Kommunikationsproblem. „Korruption ist laut Antikorruptionsgesetz jetzt ein
Offizialdelikt, sodass der Staatsanwalt von sich aus ermitteln muss. Ärzte und
Pharmaindustrie müssen gemeinsam klarmachen, dass sie ein reines Gewissen
haben. Dieses Bild muss in den Medien vermittelt werden. Wir müssen uns also in
der Öffentlichkeit ganz anders präsentieren. Darauf wird es in Zukunft
ankommen. Das Antikorruptionsgesetz wird aber zunächst dazu benutzt werden, uns
Ärzte angreifbarer zu machen. Damit müssen wir leben“, stellte der Urologe
fest.
Der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Vogt ist seit 1993
niedergelassener Rechtsanwalt und berät seit zehn Jahren den BNGO. Aufgrund
seiner politischen Vernetzung war er wiederholt an Gesetzesvorhaben beteiligt.
In Berlin nahm er als Experte für Medizinrecht teil. „Die Ärzteschaft ist
durchweg überhaupt nicht korrupt, wenn man an die 163 strafrechtlich geahndeten
Fälle denkt. Hier wird eine Neid-Debatte geführt, weil die Ärzteschaft aus
dieser Sicht immer noch zu viel Geld verdient“, so Vogt.
Um einen Wildwuchs an vermeintlicher Korruption
einzudämmen, glaubte der Gesetzgeber laut Vogt, „durchgreifen zu müssen“. Die
Politik habe Korruption im Gesundheitswesen ins Strafrecht gehoben, weil sich
Sanktionen der Berufsordnung und des SGB V offenbar in der Vergangenheit als
ein zu stumpfes Schwert erwiesen hätten. „Ich halte dieses Antikorruptionsgesetz
allerdings für schlecht gemacht, weil neben den ganzen Beschränkungen des SGB V
auch zulässige Kooperationen und damit SGB-V-konforme Zuweisungen in die
Illegalität gedrängt werden. Wenn man den Paragrafen liest, dann unterliegt das
alles der Korruption“, erläuterte Vogt.
Durchsuchungen in der Praxis
Um welche praktischen Fragen wird es ab jetzt gehen? Nach
der Strafprozessordnung sind seit Juni zum Beispiel jederzeit Durchsuchungen
durch die Staatsanwaltschaft möglich. „Solche Durchsuchungen sind überraschend
und finden gerne morgens zwischen 4 und 5 Uhr statt. Der Arzt sollte
kooperieren und Datenkopien gestatten, damit die Staatsanwaltschaft nicht die
PCs inklusive der Daten und Krankenakten aus der Praxis oder dem Privathaus
schleppt. Beschwerde oder Widerspruch gegen eine Durchsuchung kann immer nur
hinterher eingelegt werden. Der Arzt sollte ein geordnetes Verfahren erlauben,
damit ein geregelter Praxisbetrieb nach der Durchsuchung möglich bleibt“, gab
der Anwalt mit auf den Weg.
Gibt es Verjährungsfristen? Was ist
ein Vorteil?
Um strafbar zu sein, müssen die Tatbestände ab dem 5. Juni
2016 passiert sein. Wenn jedoch älterer Abrechnungsbetrug aufgrund des
Korruptionstatbestands ermittelt wird, kann es laut Vogt auch dann zur Anzeige
kommen, wenn der Abrechnungsbetrug vor dem 5. Juni 2016 begangen wurde.
Zufallsfunde seien natürlich verwertbar. „Die Verjährungsfrist für
Abrechnungsbetrug beträgt fünf Jahre“, so Kollwitz.
Rechtsanwalt Vogt spannte den Bogen des Vorteilsbegriffs
sehr weit und wollte sogar Ehrenämter nicht von dem Verdacht befreien, von
Vorteil sein zu können. „Wir kommen zum Richter-Recht, weil alles offen ist.
Jetzt kommt es auf den Weg durch die Instanzen an. Das muss nun wirklich alles
im Einzelnen abgeklärt werden. Alle nach SGB V möglichen Kooperationen sind
nicht ausgenommen“, unterstrich Vogt. Gute Zeiten also für Rechtsanwälte, denn
juristische Beratung wird ab sofort noch wichtiger und wohl auch noch mehr
nachgefragt.
Die Anwendungsbeobachtung bleibt
zweischneidig
Die Anwendungsbeobachtung, also klassische
Phase-IV-Studien, standen schon immer im Fokus der Öffentlichkeit, wenn das
Thema Korruption diskutiert wurde. Laut Kollwitz ist eine Anwendungsbeobachtung
dann rechtskonform, wenn „Leistung und Gegenleistung im Gleichgewicht sind,
wobei die Gegenleistung des Arztes ohnehin regulär abrechenbar ist. Nach dem
Strafgesetz wird diese Leistung erst dann juristisch relevant, wenn der Arzt
für etwas zusätzlich Geld erhält. Dieses Honorar geht also über seine Leistung
hinaus und wäre deshalb strafbar. Wenn er einen Anspruch auf eine Leistung
aufgrund einer konkret erbrachten Anwendungsbeobachtung hat, macht er sich
hingegen nicht strafbar“.
Problematisch wird es
immer dann, wenn weitere Komponenten zur Anwendungsbeobachtung hinzukommen.
„Wenn dem Arzt also gewissermaßen mit einem Augenzwinkern eine Leistung gewährt
wird und die Verschreibung eines Medikaments abgesprochen ist, ist dies
strafbar. Kick-back-Zahlungen eines Pharmaunternehmens zum Beispiel verstoßen
ebenso eindeutig gegen das Antikorruptionsgesetz“, erklärte Anwalt Vogt.
Die
Anwendungsbeobachtung sei kein Graubereich, wenn der Arzt alle Spielregeln
einhalte. „Ein wissenschaftlicher Hintergrund muss vorhanden sein, eine
Veröffentlichung muss nachgewiesen werden können, die Beobachtung muss
angemeldet sein und die Vergütung muss angemessen sein. Also: Der Kostenaufwand
kann erstattet werden“, empfahl Vogt. Die Anwendungsbeobachtung sollte einen
nachvollziehbaren Grund haben, also zum Beispiel Sicherheitsaspekte alter
Medikamente in Kombination mit neuen Medikamenten. Über den wissenschaftlichen
Nutzen ließe sich durchaus streiten, aber die Anwendungsbeobachtung müsse
plausibel sein.
Götz Geiges machte klar, dass Anwendungsbeobachtungen
nichts mit Betrug zu tun haben dürften. Dass Phase-IV-Studien wissenschaftlich
belegt und sinnvoll seien, bedürfe eigentlich keines weiteren Kommentars.
„Solche Studien sind ja eine Reaktion auf die Contergan-Affäre. Natürlich gilt
hier das Prinzip der Wissenschaftlichkeit. Die Phase IV dient ja dazu, die
Wirkung des Medikamentes nach der Zulassung zu beobachten. Phase-IV-Studien
können also sehr sinnvoll sein. Sie können Komplikationen vermeiden und
vielleicht Leben retten“, erklärte der IQUO-Chef.
Wird die Einladung zum Abendessen justiziabel?
Das Experten-Panel war
sich einig, dass ein Arzt sich durchaus mal von einem Pharmavertreter zum Essen
einladen lassen darf. „Wenn keine weiteren Umstände hinzutreten“, so Vogt,
„kann bei dieser Form der Kontaktpflege eigentlich nichts passieren. Eine sogenannte Unrechtsvereinbarung muss ja
immer noch nachgewiesen werden. Die Verschreibung eines Medikaments kann ganz
normal medizinische Gründe haben, auch wenn es eine Einladung zum Abendessen
gab. Das würde ich sehr pragmatisch bewerten.“
Wenn die Industrie die Reise zum
Kongress bezahlt
Dr. Jörg Schilling sah die Frage der Kongressreisen
ebenfalls entspannt: Wenn ein Pharmaunternehmen die Reisekosten zu einem
internationalen Kongress finanziere, bediene man trotzdem alle am Markt. „Der
Gedanke kommt mir gar nicht, dass die Finanzierung einer Kongressreise mein
Verschreibungsverhalten verändern könnte. Das ist bösartig kurz gedacht, um
diese Verbindungen herzustellen“, stellte der Frauenarzt klar. Zudem muss
natürlich gefragt werden, ob große Fortbildungskongresse wie der DGU- oder
EAU-Kongress in Zukunft überhaupt noch stattfinden könnten, wenn
Industrie-Sponsoring für Ärzte illegal wäre. Trotzdem erlaubt das
Antikorruptionsgesetz auch in diesem Fall staatsanwaltliche Ermittlungen, was
nicht gerade zur Beruhigung der Verantwortlichen beitragen dürfte.
Ist die Überweisung ins
Krankenhaus Korruption?
Krankenhaus Korruption?
Schilling sprach noch einen weiteren Schwachpunkt des
Gesetzes an: „Wie ist denn die zielgerichtete Überweisung einer Patientin ins
Krankenhaus aufgrund eines Selektivvertrags im Rahmen der Integrierten
Versorgung zu bewerten. Wenn dafür dann das vereinbarte IV-Honorar gezahlt
wird, erfüllt dies im Wortlaut das Antikorruptionsgesetz. Das aber kann doch
die Gesellschaft eigentlich nicht gemeint haben. Das ist doch ein ganz und gar
unzulängliches Gesetz“, beklagte sich Schilling.
Riskant können auch regionale wirtschaftliche Beteiligungen
an Labor-Verbünden oder sonstigen ärztlichen Kooperationen sein, weil das neue
Gesetz eben sehr weit auslegbar ist. Sein unpräziser Inhalt ist auch die
Hauptkritik von Rechtsanwalt Vogt. „Der Gesetzgeber hat das einfach mal
hineingeschrieben“, so Vogt, „und jetzt müssen die Gerichte definieren, was
eigentlich gemeint ist. Das Antikorruptionsgesetz ist ein völlig schlecht gemachtes
Gesetz, weil zum Beispiel der Verweis auf bestehende Vereinbarungen fehlt.“
Eine Lawine von Ermittlungen und Verfahren ist jetzt zu befürchten, weil erst
konkrete Urteile die Inhalte des Antikorruptionsgesetzes deutlicher machen
werden.