Eine Zwangs-Preisbremse im ersten Jahr, Geheimniskrämerei
bei den Erstattungsbeträgen und ein Preisdiktat bis 2022 – eine liberale
gesetzliche Regelung der Arzneimittelpreisfindung sieht anders aus als der
jetzt vorliegende Referentenentwurf des neuen Arzneimittelgesetzes, dessen
Bestimmungen die AMNOG-Regelungen eher noch verschärfen. Von Seiten der DGU und
anderer Fachgesellschaften, aber natürlich auch von Industrieverbänden hagelt
es Kritik am neuen Gesetz – wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten.
Wenn der Umsatz eines Arzneimittels, dem der G-BA einen
Zusatznutzen bescheinigt hat, in Zukunft im ersten Jahr nach Zulassung den Wert
von 250 Millionen Euro übersteigt, gilt laut Referentenentwurf rückwirkend ab
diesem Zeitpunkt der zwischen Pharmaunternehmen und GKV-Spitzenverband
verhandelte Erstattungsbeitrag. Bislang hatten die Pharmaunternehmen im ersten
Jahr nach Markteinführung während der Nutzenbewertung nach dem
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) freie Hand in der Preisgestaltung.
Dabei entstanden die angeblichen „Mondpreise“, die nun kräftig gestutzt werden
sollen.
Eine interessante Ergänzung im Verhandlungsreigen zwischen
Pharmaindustrie und Krankenkassen soll es bei den Arzneimitteln geben, denen
das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im
Auftrag des G-BA keinen Zusatznutzen zusprechen will. Nach den
AMNOG-Bestimmungen galten in diesem Fall bisher die Preise der preiswertesten
Vergleichstherapie. In der Regel handelte es sich dabei um Generika, die
häufig nur Cent-Beträge kosteten. Das Ergebnis: Oft nahm die Industrie solche
Präparate vom Markt. Hier kann die Pharmabranche nun in Verhandlungen mit den
Krankenkassen eintreten, um spezielle Preise auszuhandeln. Der Gesetzgeber
will damit erreichen, dass alternative Therapien auch ohne zusätzlichen Nutzen
bereitstehen, um Compliance-Problemen von Patienten besser begegnen zu können.
Punkt zwei des neuen Arzneigesetzes ist die Vertraulichkeit
der Erstattungspreise. Niedrige Erstattungspreise auf dem deutschen Referenzmarkt
haben aus Sicht der pharmazeutischen Industrie preismindernde und damit
umsatzfeindliche Effekte im Ausland. Dem hofft man durch das
Vertraulichkeitsgebot entgehen zu können. Offen ist aber noch, ob Ärzte und
Apotheker über Erstattungsbeträge informiert werden oder nicht.
Verlängerung des Preismoratoriums bis 2022?
Der dritte Punkt ärgert die Pharmaindustrie vermutlich am
meisten: Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht im
Gesetzentwurf „kontraproduktive Signale für den Standort Deutschland, weil das
Preismoratorium zum Stichtag 1. August 2009 nun bis 2022 verlängert werden
soll“ – eigentlich sollte es im Jahr 2017 auslaufen. Die Kritik des
BPI-Vorstandsvorsitzenden Dr. Martin Zentgraf fällt deutlich aus: „Der
Pharmaindustrie nach fast zwei Jahren Dialog die Verlängerung des
Preismoratoriums im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens unterzujubeln, ist nicht
nur schlechter Umgang. Die faktische Institutionalisierung einer solchen
Zwangsmaßnahme gefährdet den stark mittelständisch geprägten Industriezweig.
[...] Wir appellieren an das Bundesministerium für Wirtschaft, sich gegen die
gesetzlich angeordnete Planwirtschaft zu stellen.“
„Schon das faktische Einfrieren auf dem Preisstand vom
1.8.2009 für einen derart langen Zeitraum wird nicht für eine bessere und schon
gar nicht für eine sichere Arzneimittelversorgung sorgen. Die Begründung, dass
zur Verbesserung der Vergütung der Apotheken im Gegenzug Einsparungen bei der
pharmazeutischen Industrie generiert werden müssen, ist abenteuerlich und wird
die schon bestehende Empörung bei unseren Mitgliedern weiter verschärfen“, so
Zentgraf weiter. Kontraproduktive Signale für den Standort Deutschland seien
auch die Beschränkung der freien Preisbildung und eine Umsatzschwelle im ersten
Jahr, die einen erheblichen zusätzlichen Eingriff in einem ohnehin
durchregulierten Markt darstelle.
vfa kritisiert Entwurf bei Fach-Anhörung des BMG
Inzwischen fand eine Fach-Anhörung des Bundesministeriums
für Gesundheit zum Referentenentwurf in Berlin statt. Dabei erklärte Birgit
Fischer (Foto), die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden
Pharma-Unternehmen (vfa): „Dank intensiver Forschung und Entwicklung schaffen
Pharmaunternehmen zunehmend bessere Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten
für viele Krankheiten. Zwei Jahre lang haben deshalb drei Bundesministerien,
die Verbände der pharmazeutischen Industrie, die IG BCE und Vertreter der
Wissenschaft im Pharmadialog erarbeitet, wie diese Fortschritte besser als in
der Vergangenheit den Patienten zugänglich gemacht werden können [...]. Im
vorliegenden Gesetzentwurf wird diese ausdrückliche Absicht des Pharmadialogs
jedoch nicht eingelöst. Der Entwurf ist so unpräzise formuliert, dass er sogar
gegenteilige Auswirkungen haben kann, nämlich eine Einschränkung des Zugangs zu
neuen Therapien.“ Diesem Gesetzentwurf fehlt laut Fischer das „Bekenntnis zur
Versorgung der Patienten auf neuestem Forschungsstand und zum Ausbau des
Gesundheitsstandorts“.
Fachgesellschaften sehen gravierende Mängel
In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten sich auch die
DGU sowie weitere wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften zu dem
Entwurf. Nach ihrer Ansicht enthält das Papier zwar einige wichtige Aspekte,
aber auch gravierende Mängel. Prof. Bernhard Wörmann (Foto), Medizinischer Leiter der
Deutschen Gesellschaft für Hämato-Onkologie (DGHO) und Hauptautor der
Stellungnahme formuliert es so: „Grundsätzlich begrüßen wir, dass mit dem
geplanten Informationssystem verfügbare Daten zu neuen Arzneimitteln für
verordnende Ärztinnen und Ärzte transparenter gemacht werden sollen.“
Allerdings seien die aktuellen Ansätze seiner Ansicht nach nicht weitreichend
genug. „Um die Arzneimittelversorgung von Patienten wirklich verbessern zu
können, müssten neben den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung unbedingt auch
aktuelle Erkenntnisse über die Langzeitwirkung von Medikamenten sowie über
deren Nebenwirkungen enthalten sein.“ Zudem sollten die Wirksamkeit von
Arzneimitteln in bestimmten Subgruppen, relevante Biomarker und die
Empfehlungen aus Leitlinien aufgegriffen werden.
Kritisch beurteilen die Fachgesellschaften außerdem, dass
wissenschaftlich-medizinische Erkenntnisse zu wenig berücksichtigt werden.
Prof. Dirk Müller-Wieland, Mit-Autor der Stellungnahme, erklärt dazu: „Die
zukünftige Möglichkeit, Medikamentenverordnungen einzuschränken, kann nicht nur
auf einem Verfahren beruhen, das mit dem Ziel der Preisbildung gegründet
wurde.“ Immerhin könnten damit Therapiestandards beeinflusst werden, die
Millionen von Patienten betreffen. „Hier ist die Begleitung durch die
medizinische Wissenschaft unerlässlich“, so Müller-Wieland. Deren Expertise
sei darüber hinaus auch notwendig, um Erkenntnisse zu Arzneimitteln auf
Patientengruppen zu übertragen, für die keine Studienergebnisse vorliegen. Der G-BA
habe bisher keine Methodik zur Festlegung von solchen Subgruppen etabliert,
ergänzte Wörmann.
DGU-Kritik: Der Preis, nicht der Nutzen bestimmt die Therapie
Laut Referentenentwurf sollen Preisverhandlungen weiterhin
unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne potentielles Korrektiv allein
zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmen geführt
werden. „Wir empfehlen, dass die medizinische Plausibilität der Ergebnisse
dieser geheimen Verhandlungen am Ende unter Einbindung der medizinischen
Fachgesellschaften geprüft wird“, fordert Müller-Wieland. Gerade bei
chronischen Krankheiten sei ein solches Vorgehen relevant. Schließlich würde
die Versorgung dieser Patienten am Ende de facto wesentlich durch den Preis
bestimmt, nicht durch den Zusatznutzen.
Positiv beurteilen die Mediziner hingegen, dass der
Einheitliche Bewertungsmaßstab – also die Grundlage für die Abrechnung der
vertragsärztlichen Leistungen im ambulanten Bereich – zukünftig zeitgleich
angepasst werden soll, wenn absehbar ist, dass für den Einsatz eines neuen
Medikaments zusätzlich begleitende Diagnostik, etwa in Form von Gentests,
notwendig ist. „Hier bestand bisher eine Gesetzeslücke, die in den vergangenen
Jahren beispielsweise in der Onkologie vermutlich häufig zu einer
bedenklichen Unterversorgung von Patienten geführt hat“, erläutert Wörmann.
Dennoch fällt das Gesamturteil der Fachgesellschaften
kritisch aus: „Die Nutzenbewertungen von Medikamenten und die Entwicklung von
wissenschaftlich medizinischen Leitlinien sind zu wenig miteinander verbunden“,
so DGU und andere Fachgesellschaften. Dies aber führe zu Verwirrungen bei
Patienten, Ärzten und Apothekern – und behindere die Umsetzung von
Innovationen.
(Autor: Franz-Günter Runkel / 31.10.2016)