Freitag, 19. Mai 2017

Hilft der Urologe oder fragen wir Dr. Watson?


Das selbstlernende und sprachbegabte Computerprogramm Watson von IBM erstellt knifflige Diagnosen anhand von Forschungsdaten und elektronischen Fallakten. Trotzdem wird der Arzt in der Medizin 4.0 nicht überflüssig, sondern er nutzt Evidenzwissen zur Entscheidungshilfe in schwierigen Fällen. Eine Big-Data-Veranstaltung auf dem Gesundheitskongress des Westens im Kölner Gürzenich fragte nach der zukünftigen Rolle des Arztes und nach Gründen der Untätigkeit von Politik und medizinischen Leistungsanbietern.

Für den ehemaligen Berliner Ärztekammer-Präsidenten Dr. Ellis E. Huber sind Digitalisierung und die Möglichkeiten der Informationstechnologie für den Arzt der Zukunft ein Segen und eine Gefahr zugleich. Der Arzt der Zukunft werde nicht mehr als Wissensträger gebraucht, sondern als autonome und kritische Persönlichkeit mit intuitiver Fähigkeit. Huber quält allerdings eine konkrete berufs- und honorar­politisch begründete Angst: „Ich kann mich mit Informationstechnologien den Verführungskünsten einer kapitalistischen Wirtschaft ausliefern. Ich kann mit dieser Technologie auch die Kolonialisierung des Leibes für Geldinteressen weitertreiben. Ich kann diese Technologie allerdings auch einsetzen, um für Ärzte mehr Handlungskompetenz und mehr Sinnhaftigkeit in ihren Arbeits­feldern zu schaffen. Vor diesem Hintergrund bin ich natürlich besorgt, dass große Teile der Ärzteschaft die Technologie ablehnen, weil sie zu viel Transparenz herstellt.

Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Di­rektor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Essen, rechnet mit einer dramatischen Veränderung der ärztlichen und pflegerischen Berufe, die er aber positiv sieht: „Im Zuge des Lean Managements werden Prozessstandardisierungen und Prozessop­timierungen so viele Einfluss gewinnen, dass Pflegekräfte und Ärzte den Haupt­teil ihrer Arbeitszeit wieder direkt am Patienten verbringen können.“ So ließen sich zu Beispiel zeitintensive bürokratische Arbeiten durch den technologischen Fortschritt reduzieren.

Ist die Digitalisierung Segen oder doch Überforderung?

Dr. Johannes Salem (Foto), GeSRU-Vorsitzender und Facharzt für Urologie am Universitätsklinikum Köln, glaubt an die Unersetzbarkeit des Arztes aus Fleisch und Blut: „Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen immer von Menschen therapiert werden möchten. Die Frage ist, welche Funktionen der Arzt dabei übernimmt. Die Komplexität der medizinischen Fachdisziplinen nimmt deutlich zu. Der Stand der Technik verändert sich und das medizinische Wissen erweitert sich ständig. Die Digitalisierung kann in erster Linie eine Überforderung sein“, befürchtete Salem.

Aber die digitale Transformation gebe dem Arzt auch mehr Zeit für seine Kernkompetenz: die Versorgung der Patienten. „Ich bin als Mensch und Arzt für den anderen Menschen da. Wenn es die Digitalisierung schafft, uns diese Freiräume zu geben, dann ist sie für den Arzt ein Segen“, glaubt der Urologe. In der Gegenwart findet Salem bei jungen Ärzten ein Gefühl der Überforderung. „Der Alltag frisst viele von uns auf. Wir brauchen Freiräume für Kreativität, Freiräume für Entwicklung“, so Salem.

Wer macht dem Gesundheitssystem digitale Beine?

Prof. Axel Ekkernkamp, Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor am Unfallkrankenhaus Berlin, fragte nach dem praktischen Nutzen des Watson-Com­puters in der Gegenwart. „Im Institut für seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Marburg wird der Watson-Computer bereits leihweise eingesetzt. In 98 % der Fälle wird der Computer nicht benötigt. Wenn es aber in den restlichen 2 % der Fälle wirklich schwierig wird, dann hilft das Watson-Wissen ungemein. Die Frage lautet also nicht: Arzt oder Watson? Beides ist sinnvoll“, stellte Ekkernkamp fest.

Die digitale Entwicklung vollziehe sich im Schneckentempo. Während in der Arbeitswelt 4.0 ein revolutio­närer Wandel stattfinde, verharrten viele Krankenhäuser unbeweglich im Zeit­alter von Fax und Festnetz-Telefon. „Ich suche gerne nach Treibersystemen für die digitale Transformation. Das können nicht die Hersteller, das kann nicht IBM sein. In dieser Hinsicht sind Ärzte eine wichtige Gruppe. Etwa die Hälfte der Ärzteschaft hält aber digitale Arbeitsmittel leider für Teufelszeug, das nur hohe Kosten verursacht. Die Krankenhäuser warten auf eine Investition des Staates, die aber nicht kommt. Die Politik bleibt in dieser wichtigen Geldfrage untätig“, so Ekkernkamp. Nur der Pa­tient und Wähler könne der Politik Beine machen, die digitale Transfor­mation zu finanzieren.

Autor: Franz-Günter Runkel - Medical Communications

Samstag, 13. Mai 2017

Setzt sich die fokale Therapie des Low risk-Prostatakarzinoms durch?



Fokale Therapieansätze werden vor allem beim Niedrigrisiko-Prostatakarzinom diskutiert. Lange Zeit limitierten fehlende multizentrische und prospektive Studien sowie die viel zu ungenaue Tumordiagnostik in der Prostata die Ergebnisse der fokalen Therapie. Die Entwicklung des multiparametrischen MRT sowie die technischen Verbesserungen haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die fokale Therapie aufgeholt hat. Heute steht sie auf dem Sprung zur etablierten therapeutischen Alternative für Prostatakarzinome mit niedrigem und teilweise intermediärem Risiko.
Im Spannungsfeld der therapeutischen Methoden für das Prostatakarzinom sucht die fokale Therapie ihren Platz zwischen der Ganzdrüsentherapie und der Active Surveillance (1). Positiv könnte sich auswirken, dass sich der therapeutische Fokus für das lokalisierte Prostatakarzinom in den nächsten Jah­ren von der vollständigen Eradikation des Tumors sowie entsprechenden Nebenwirkungen hin zur „effektiven lokalen Tumorkontrolle mit möglichst maximalem Erhalt der Lebensqualität“ verschieben wird (1). Die fokale Therapie hat hier ihren möglichen Platz, weil sie vermeintlich schonender als die radikalen Formen der Behandlung und radikaler als das Nichtstun und ­Beobachten ist. Bis 2013 gab es nur wenige unizentrische Studien mit geringer Fallzahl – zu wenig, um sich wissenschaftlich behaupten zu können (2). Multizentrische Studien und Langzeitdaten fehlten gänzlich. Erst in jüngster Zeit beginnt sich dies zu wandeln.

Diagnostik und Indikation

Wie Dr. Stefan Machtens (Foto unten), Chefarzt des Marien-Krankenhauses in Bergisch Gladbach und stellvertretender Vor­sitzender des Arbeitskreises Fokale und Mikrotherapie der Akademie der DGU, im Gespräch erläuterte, sind „theoretisch 40 % unserer Pros­tatakarzinompatienten für eine fokale Therapie geeignet. Praktisch  werden aber aufgrund der Studienlage  nur 10 % fokal therapiert“.
Die fokale Therapie könne insgesamt (noch) nicht als etablierte Therapieform angesehen werden, weil es an Studien fehle. „Nach wie vor fällt die Identifi­kation der richtigen Patienten schwer: Welche Dia­gnostik müssen wir durchführen, um einen Patienten sicher für eine fokale Therapie auszuwählen? Der zweite Punkt ist: Können wir einen Gleason-7-Patienten fokal behandeln? Mit der fokalen Therapie wollen wir keine Alternative zur Active Surveillance aufbauen. Das Ziel ist vielmehr, eine Alternative zu anderen definitiven Therapieformen zu etablieren. Der ideale Patient für die fokale Therapie wäre ein Kandidat für eine andere Ganzdrüsentherapie. Die wahrscheinlich interessanteste klinische Indikation der fo­kalen Therapie besteht derzeit im interme­diären Risiko. Dort besteht dann auch die Frage, ob der Gleason-7b-Patient (4+3) geeignet ist“, so Machtens.

Der Gleason-7a-Patient mit einem PSA-Wert bis 15 ng/ml könne durchaus ein Kandidat für die fokale Therapie sein. Beim 7b-Patienten schieden sich dann schon die Geister. „Im 2- und 3-Bereich nach WHO-Klassifikation sollte die fokale Therapie ihren wahrscheinlichen Platz haben. Das Hauptproblem bei der Prostata besteht darin, die relevanten Tumorherde präzise zu erkennen. Im Kern ist es das Problem der Index­lä­sion. Dahinter verbirgt sich die Frage, welche Läsion eines Prostatakarzinoms unbedingt behandelt werden muss, um eine spätere Metastasierung auszuschließen. Die fokale Therapie hat stark mit einem Diagnostikpro­blem zu kämpfen, dass sich aber in jüngster Zeit zunehmend auflöst“, unterstreicht Machtens.

Hochenergetischer fokussierter Ultraschall (HIFU)

Bei einem HIFU wird Ultraschall in hoher Intensität gebündelt und mithilfe eines rektalen Ultraschallkopfes auf das zuvor identifizierte Tumorareal konzentriert. Der Effekt wird als Kombination aus thermischen und mechanischen Effekten erklärt, und im Zielgebiet entsteht die charakteristische zigarrenförmige Koagulationsnekrose (2). Durch die Entwicklung des Focal-One-Systems haben sich die technischen Möglichkeiten der HIFU deutlich verbessert (3). Nach Jahren der Stu­dienflaute rückt seit 2014 die Hemiablation, also die Halbseitenbehandlung der Prostata mit HIFU, in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Es handelt sich um eine prospektive, multizentrische Phase II-Studie zur fokalen Therapie (Hemiablation) der Prostata durch HIFU bei Patienten mit Eignung zur Active Surveillance (4).

Im Rahmen einer prospektiven Phase II-Studie der AUO soll z. B. die Mach­barkeit der fokalen Therapie (Hemi­abla­tion) der Prostata mittels HIFU  geprüft werden. Neben dem primären Endpunkt der Einleitung einer sekundären Therapie nach zwei Jahren sollen Nebenwirkungen, Lebensqualität, psy­chische Belastung und Sicherheit als sekundäre Endpunkte untersucht wer­den. Die Dia­gnostik des lokalen Tumorstadiums mittels leitliniengerechter Biopsie der Prostata wird durch Einsatz des multiparametrischen MRTs (mpMRT) unter standardisierter Befundung mittels PI-RADS-Score erweitert. Inzwischen wurde die Rekrutierung auf 200 Patienten erhöht und bis Ende 2019 verlängert.

FT-Experte Machtens bleibt aber skeptisch: „Was die HIFU-Therapie angeht, ist es bislang nicht gelungen, sie für die gesamte Drüse zur etablierten, leitlinienkonformen Therapie zu machen. Darauf beruht auch meine Skepsis hinsichtlich einer fokalen HIFU-Therapie“, so der Urologe.

Vascular Targeted Therapy (VTP)

Die gefäßgestützte fokale Therapie arbeitet mit der photoaktiven Substanz TOOKAD Soluble (5). Durch Laseraktivierung setzt die Substanz hydroxile Radikale frei, die zu Gefäßwand­nekrosen und einem lokalisierten ­Ge­­webe­untergang führen. In Europa und Südamerika sind zwei multizentrische rando­misierte und kontrollierte Phase-III-­Studien im Gang

„Wir haben vier VTP-Patienten in die TOOKAD-Studie eingebracht, waren aber am Ende von den Ergebnissen eher enttäuscht. Die Wirksamkeit der TOOKAD-Methode beruht auf der Kombination von Licht und einer Substanz im Gewebe, die dann zu einer starken Nekrose führt. Der Effekt der TOOKAD-Studie war auch nur deshalb so hoch, weil der Active Surveillance-Arm der Studie eine so starke Progression gezeigt hat. Keiner hat so genau verstanden, warum dies so war. Wenn vergleichbare Ergebnisse wie bei der ­PRIAS-Studie eingetreten wären, wäre dieser Effekt sehr viel niedriger ausgefallen. Deshalb bin ich von der Wirksamkeit von TOOKAD nicht überzeugt. Hinzu kommt, dass VTP auch technisch extrem anspruchsvoll ist, weil Sicherheitsabstände zu den Organen genau eingehalten werden müssen“, so Machtens.

Fokale LDR-Brachytherapie

Bei der fokalen LDR-Brachytherapie werden mit Hilfe eines Templates radioaktive Seeds in der Tumorzielregion der Prostata platziert. Im Hinblick auf die Aktivität und die Endringtiefe zeigte Jod-125 die besten Eigenschaften (2). Machtens hält viel von der LDR-Brachytherapie: „Ich habe bei der Dutch Cancer Society zusammen mit Bradley Pieters aus Amsterdam ein europäisches Studienkonzept für die fokale Brachytherapie eingereicht. Wenn man über fokale Brachytherapie redet, dann handelt es sich meist um die Low-dose-Brachytherapie mit permanenten Seeds. Im Hinblick auf die Ganzdrüsen-Behandlung ist die fokale Brachytherapie absolut leitlinienkonform, was ein starkes Argument für die fokale Brachytherapie ist.“ Parallel gebe es auch Untersuchungen zur HDR-Brachy­therapie mit fokaler Dosis­eskala­tion, die über Therapieerfolge bei moderaten Nebenwirkungen berichteten (6). Weitere Verfahren sind die Argon-getriggerte Kryotherapie sowie die Irreversible Elektroporation, die mit­hilfe von zwei bis sechs Elektroden ein gepulstes elektrisches Feld aufbaut.

Seit 2014 gibt es positive Entwicklungen bei der fokalen Therapie (1):
  1. Die Entwicklung des multiparametrischen MRT,
  2. Die präzisere Erfassung der Multi­fokalität des PCa sowie bessere Identifikation der Indexläsion,
  3. Präzisere Definitionen und bessere Therapietechniken (z. B. HIFU) und
  4. Bessere Studienqualität durch pro­spektiv multizentrische Studien.

Das multiparametrische MRT

„Das mp­MRT gewinnt in der Identifikation der Indexläsion zunehmend an Bedeutung. Trotzdem ist die transperineale Template-Biopsie  immer noch das Eingangskriterium der meisten Studien. In jedem Fall sollte die Zwölf-Stanzen-Biopsie durch ein mpMRT überprüft werden. Falls dann Diskrepanzen auftreten, muss eine transperineale, Template-gestützte Biopsie für Klarheit sorgen, um möglichst alle Tumorherde zu identifizieren“, so Machtens. Die mp-MRT-Befunde erreichten mithilfe der gezielten Biopsien und der pathologischen Auswertung eine hohe diagnostische Treff­sicherheit. Die prädiktive Wahrscheinlichkeit für die Entdeckung klinisch signifikanter Tumoren konnte so auf 90 % gesteigert werden. Die früher fehlende Standardisierung der Befunde gehöre seit PI-RADS (Prostate Imaging, Reporting and Data System) der Vergangenheit an. Allerdings müssen die Erfahrungen bei der Befundung auch unter Radiologen noch ausgebaut werden, um Abweichungen in der Interpretation der Ergebnisse weiter zu verringern.

Der Arbeitskreis Fokale und Mikrotherapie der Akademie

Der Arbeitskreis Fokale und Mikrotherapie der Akademie hat einen interdisziplinären Ansatz und schließt Radio­logen, Pathologen, einen Nuklearmedi­ziner sowie Urologen ein. „Das ist ein Novum. Die Ultraschalldiagnostik ist aus Sicht unseres Arbeitskreises nicht ausreichend, , wenn es um die Identifikation der Indexläsionen geht. Hier entsteht ein Konflikt, weil die Urologie seit Jahrzehnten sehr stark auf rein sonografische Verfahren gesetzt hat. Dahinter steht der berufspolitische Ansatz, die Bild­gebung in urologischer Hand zu behalten. Leider ist das mpMRT nun einmal die Bildgebung der Zukunft. Deshalb müssen wir uns dafür öffnen. Hier sind wir natürlich sehr vom Radiologen abhängig“, so Machtens. Um Urologen die Interpretation der mpMRT-Bilder zu lehren, plant der Ar­beitskreis Fortbildungen.     

Autor: Franz-Günter Runkel

Literatur

  1. M. Schostak et al., Krebskontrolle im Fokus. Akt. Urol. 2015; 46:39–44.
  2. D. Baumunk et al., Fokale Therapie des Prostatakarzinoms, 2013; 52: 549–556.
  3. J.H. Witt, Fokale Behandlung des Prostatakarzinoms, urologen.info, April 2014: 40–41.
  4. H. Rexer, M. Graefen, R. Ganzer, Organgruppe Prostatakarzinom der Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie (AUO) in der DKG, HEMI, 2017, AP 68/11.
  5. A. Roosen et al., Urologe 2014, 53:1040–1045.
  6. J. Cordes et al., Urologe 2017, 56: 157–166.

Montag, 8. Mai 2017

Was wird aus der Novelle der Musterweiterbildungsordnung?



Das Urologie-Hauptkapitel in der novellierten Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer wird eine modulare Struktur ohne feste Zeitbindung und mit gerin­geren Mindestoperationszahlen haben. Zu den Modulen des Hauptkapitels sollen unter anderem Andrologie, Kinderurologie, Rehabilita­tion sowie Urologische Geriatrie zählen. Medikamentöse Tumortherapie, Spezielle urologische Chirurgie, Kinderurologie sowie Spezielle Andrologie sollen nach dem Willen der Bundesärztekammer Zusatzweiterbildungen werden. DGU-Vizepräsident Prof. Oliver Hakenberg kommentiert den aktuellen Stand der Novelle.
Wie wird die konkrete Struktur des Urologie-Fachkapitels nach heutigem Stand aussehen?
Hakenberg: Die Vorgaben der Bundesärztekammer für die Novellierung der Musterweiter­bildungsordnung sehen eine modulare Struktur vor, in der Abschnitte bzw. Module ohne ganz feste Zeitbindung absolviert werden können. Dazu wird angestrebt, in den opera­tiven Fächern mit starker Niederlassungstendenz die erforder­lichen Mindestoperationszahlen zu reduzieren. Eine weitere Vorgabe der Bundesärztekammer ist, dass zukünftig jeweils ein Jahr eines beliebigen anderen Fachs auf die Weiterbildung angerechnet werden kann. Dies bedeutet, dass die Mindestzahlen zur Not auch in vier Jahren geleistet werden können.


Welche Unterkapitel werden ins Hauptkapitel Urologie integriert?
Hakenberg: Nach dem Vorschlag von DGU und BDU werden alle relevanten Unterkapitel als Module integriert, also Andrologie, Kinderurologie, Re­habili­­tation, Urologische Geriatrie, usw. Für diese Bereiche sind die Grund­lagen und grundlegenden Techniken im ­Katalog enthalten. Auch alle für die Niederlassung relevanten Inhalte wie mikrobiologische Techniken, Urinzytologie, Labor, Röntgen, Ultraschall, usw. werden nach unseren Vorstellungen enthalten sein.

Welche Unterkapitel werden wahrscheinlich Zusatzweiterbildungen bleiben bzw. werden?
Hakenberg: Als Zusatzweiterbildung wird die Bundesärztekammer die „Medikamentöse ­Tumortherapie“ ansehen. Wir haben die relevanten Inhalte daher in den Facharzt integriert. Neu be­antragt ist von uns die Wiedereinführung der Zusatzweiterbildung „Spe­zielle urologi­sche Chirurgie“, auch um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Facharzt im Vergleich zur bisherigen Regelung deutlich ­weniger Opera­tionserfahrung fordern wird. Neu beantragt ist eine Zusatzweiterbildung „Kinder­urologie“, erwerbbar für Urologen und Kinder­chirurgen, ein Vorschlag der DGU und der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie. Andrologie wird als Zusatzweiterbildung „Spezielle An­dro­logie“ bestehen bleiben.

Wie sieht das aktuelle Modell einer Weiterbildung an mehreren klinischen Standorten bzw. ambulanten Weiterbildungsstandorten aus?
Hakenberg: Das Konzept einer „Verbundweiterbildung“ wird durchaus möglich sein, hängt aber von der Weiterbildungsermächtigung aller Beteiligten ab. Weiterbildung an mehreren Stellen ist ja auch jetzt schon ohne weiteres möglich, in Hamburg, Berlin und München wäre es auch umsetzbar, aber das passiert nicht wirklich. Ein Grund ist sicherlich auch eine zu ge­ringe Flexibilität aller Be­teiligten, auch der Assistenten. Verbundweiterbildung ist überhaupt keine neue Erfindung. Sie ist schon jetzt möglich und nur eine Frage des Wollens.

Wie sieht der Fahrplan der Bundesärztekammer für die Verabschiedung aus?
Hakenberg: Der zeitliche Fahrplan ist  – wie üblich bei solchen Werken, die die Kommentierung und Konsentierung vieler Institutionen erfordern –, extrem dehnbar. Es ist vorgesehen, einen ersten Entwurf auf dem nächsten Deutschen Ärztetag vorzustellen. Die Zusatzweiterbildungen kommen ohnehin erst danach in die Beratung. Im Übrigen wird alles abschließend vom Deutschen Ärztetag beschlossen.
Dieser setzt sich mehrheitlich aus Hausärzten und Internisten zusammen, die dann beschließen, was die Urologen in ihrer Weiterbildungsordnung stehen haben. Danach werden dann die Landesärztekammern jeweils für sich eine gültige Weiter­bildungsordnung beschließen, denn die Version der Bundesärztekammer ist ja nur eine „Musterweiterbildungsordnung“. Da kommt dann noch einmal die föderale Freiheit zum Zuge, mit möglichen re­gionalen Sonder­wegen.

Wird sich das reduzierte operative Programm der modularen Novelle negativ auf die interdisziplinäre Wettbewerbsfähigkeit der Urologie auswirken?
Hakenberg: Die Bundesärztekammer hat die Vorgabe gemacht, dass die operativen Weiterbildungsinhalte für alle Fächer „entschlackt“ und reduziert werden sollen. Für die Urologie ergeben sich nach unserer Ansicht keine Auswirkungen auf die „interdisziplinäre Wettbewerbsfähigkeit“ – wie auch? Urologische Operationen werden nach wie vor nur von Urologen fachgerecht erbracht werden können, da die operativen Inhalte sich ja nicht mit anderen Fächern überschneiden.

Wie zufrieden sind Andrologen und Kinderurologen mit dem Entwurf der Novelle?
Hakenberg: Alle Vorlagen sind abgestimmt, sowohl mit der Deutschen Gesellschaft für Andrologie wie auch mit der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und dem Arbeitskreis Kinderurologie der DGU. Über 90 % der „Andrologen“ in Deutschland sind Urologen, also gibt es kein relevantes Konfliktpotenzial.

Bietet diese Novelle genügend Substanz, um Unabhängigkeit und Relevanz der Urologie in der kommenden Dekade zu sichern?
Hakenberg: Ich denke, sie bietet erheblich Substanz, mehr als bislang und wird die Urologie gut aufstellen – wenn die Novellierung so wird, wie wir es eingereicht haben. Wenn man durch den Deutschen Ärztetag viel herausgeschnitten bekommt, kann das anders sein.         fgr