Ein Kommentar von Franz-Günter Runkel
Das Scheitern der PREFERE-Studie ist das schlimmste wissenschaftliche Desaster in der deutschen Urologie der vergangenen Jahrzehnte. Der Schaden am Ruf des Fachs ist beträchtlich. Ein „Weiter so“ wäre in dieser Situation die schlechteste aller Lösungen. Es ist Zeit, zwei Fehlerquellen konkret zu benennen:
1. Die Studienleitung mit Michael Stöckle und Thomas Wiegel hat versagt: Wenn die aus Sicht der Sponsoren „eigentlichen Studienfragestellungen“ aufgrund der weit hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Rekrutierung nicht beantwortet werden können, waren Studienkonzept und -design in Relation zur Aufgabe ungeeignet. Es gab offenbar kein valides Marketingkonzept für die essenzielle Patientenrekrutierung. Genau das ist fahrlässig versäumt worden. Stattdessen erging man sich in dubiosen Diffamierungen der Kritiker. Wenn Ergebnisse der älteren ProtecT-Studie „grundlegende Änderungen im Studiendesign“ von PREFERE notwendig gemacht haben, dann wurden wissenschaftliche Entwicklungen jenseits von PREFERE nicht ausreichend berücksichtigt. Studienleiter und Steering Committee müssen sich dieser Verantwortung stellen oder sie müssen zur Verantwortung gezogen werden.
2. Den Sponsoren Deutsche Krebshilfe und Krankenkassen fehlte es an kritischem Urteilsvermögen: Obwohl sich die Finanziers der Herausforderungen „hohe Rekrutierung“ und „schwierige Randomisierung“ „von Anfang an bewusst waren“, wie sie selbst schreiben, haben sie den Versprechungen der Studienleitung auch dann noch allzu unkritisch vertraut, als PREFERE längst gescheitert war. Die Reißleine hätte viel, viel früher gezogen werden müssen.
DGU und BDU sollten nun eine Untersuchungskommission einsetzen: Rat und Hilfe sind wertvoll, aber besser wäre es, von einer Kommission die Fehler der PREFERE-Studie ohne Ansehen der Personen kritisch aufarbeiten zu lassen und strukturelle Konsequenzen für die Forschungsförderung der Fachgesellschaft zu ziehen. Das Ziel sollte klar sein: PREFERE darf sich nicht wiederholen.
Freitag, 16. Dezember 2016
Sponsoren beenden die Förderung der PREFERE-Studie zum Jahresende
Angesichts eines Desasters von letztlich nur 343 rekrutierten Patienten haben die Deutsche Krebshilfe, die gesetzlichen Krankenkassen und die privaten Krankenversicherungen beschlossen, die PREFERE-Studie zur Bewertung der gängigen Behandlungsoptionen bei Frühformen des Prostatakarzinoms nicht fortzuführen und die Studienförderung zum 31. Dezember 2016 zu beenden. „Die Zahl der eingeschriebenen Patienten ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben“, konstatiert die Deutsche Krebshilfe in einer Pressemitteilung. Von den geplanten Gesamtkosten in Höhe von insgesamt 23 Millionen Euro waren bereits mindestens 8 Millionen Euro ausgegeben worden. In München hatten sich Anfang November namhafte Kritiker der Studie getroffen und die Schwachstellen der Studie deutlich benannt.
Deutsche Krebshilfe und Krankenkassen bedauern den vorzeitigen Abbruch der Studie, weil nun weiter unklar bleibe, von welcher der vier Therapieoptionen – radikale Prostatektomie, perkutane Strahlentherapie, Brachytherapie sowie aktive Überwachung – die PCa-Patienten am meisten profitierten. Allerdings räumen die Sponsoren auch das Scheitern der Studie ein. Die Deutsche Krebshilfe begründet das Ende ihrer Förderung so: „Das vor dreieinhalb Jahren begonnene Studienprojekt hat die Erwartungen zur Durchführbarkeit, insbesondere der Rekrutierungsrate, die der Entscheidung, die Studie zu fördern, zugrunde lagen, nicht erfüllt. Den Förderern erscheint es nicht vertretbar, eine Studie fortzusetzen, die absehbar nicht abgeschlossen werden kann und damit die eigentliche Studienfragestellung nicht beantworten wird.“
Den Förderern der Studie waren die Herausforderungen nach eigener Aussage „von Anfang an bewusst – insbesondere die Aspekte hohe Teilnehmerzahl und Randomisierung“. Sie müssten nach dreieinhalb Jahren jedoch konstatieren, „dass die Herausforderungen des Studiendesigns möglicherweise unterschätzt wurden“. Zu viele Urologen nicht zur Mitwirkung bereit. Wie Prof. Jürgen Fritze vom Verband der Privaten Krankenversicherung erläuterte, war „beispielsweise nicht zu antizipieren, dass der überwiegende Teil der Studienpatienten die Standardtherapien – Operation und konventionelle Strahlentherapie – abwählt“. Dies habe dazu geführt, dass sich die Teilnehmerzahl nochmals deutlich erhöhen musste, um valide Studienergebnisse zu erhalten. Durch den unmittelbaren Kontakt mit niedergelassenen Urologen, die in der Regel die erste Anlaufstelle für den Patienten sind, hätten die Förderer noch während der Studienlaufzeit erkannt, dass ein Viertel der niedergelassenen Urologen nicht bereit gewesen sei, an PREFERE mitzuwirken.
„Den Patienten konnte anscheinend nicht ausreichend vermittelt werden, dass die Frage der besten Therapie wissenschaftlich unbeantwortet ist, dass also die Empfehlung der einen gegenüber der anderen Therapie unfundiert ist. Denn anderenfalls wären die Patienten der Logik gefolgt, dass die Randomisierung jedenfalls keinen Nachteil bedeutet, aber Erkenntnisgewinn,“ so Fritze. Nach einem Krisentreffen der Sponsoren mit den Studienleitern – Prof. Michael Stöckle (2.v.l.), Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie des Universitätsklinikums des Saarlandes in Homburg/Saar, und Prof. Dr. Thomas Wiegel (l.), Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie des Universitätsklinikums Ulm – ging wohl kein Weg mehr an der Einstellung von PREFERE vorbei.
Zudem hätten laut Stöckle und Wiegel auch die kürzlich veröffentlichten Daten der englischen ProtecT-Studie „grundlegende Änderungen im Studiendesign notwendig gemacht“. Für die weitere Betreuung der 343 Patienten, die sich bisher für eine Teilnahme entschieden haben, bringt die Beendigung der PREFERE-Studie nach Aussage der Deutschen Krebshilfe keine Nachteile. Das Studienkonzept und -design war seitens der Deutschen Krebshilfe und der Kostenträger abgestimmt worden mit der DGU, der Deutschen Gesellschaft für Radiologie, dem BDU, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Krebs-Selbsthilfe-/Patientenorganisation Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe (BPS). Die Studie und ihr Design fanden zudem die uneingeschränkte Unterstützung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). „Nach dieser intensiven Abstimmung zwischen allen Beteiligten im Vorfeld des Studienbeginns war davon auszugehen, dass PREFERE einen erfolgreichen Verlauf nehmen wird. Wohl wissend um die Herausforderungen, haben wir uns auf diese Allianz verlassen“, so der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven (r.). Der Abbruch der Studie kam nicht überraschend, wurde doch schon seit ihrem Beginn auf grobe Fehler in der Studienkonzeption hingewiesen. Im Münchner Presseclub waren Anfang November Kritiker der PREFERE-Studie zusammengekommen,
um Bilanz zu ziehen und Konsequenzen zu fordern.
Autor: Franz-Günter Runkel
Montag, 31. Oktober 2016
Arzneimittel-Preisbremse gegen „Mondpreise“
Eine Zwangs-Preisbremse im ersten Jahr, Geheimniskrämerei
bei den Erstattungsbeträgen und ein Preisdiktat bis 2022 – eine liberale
gesetzliche Regelung der Arzneimittelpreisfindung sieht anders aus als der
jetzt vorliegende Referentenentwurf des neuen Arzneimittelgesetzes, dessen
Bestimmungen die AMNOG-Regelungen eher noch verschärfen. Von Seiten der DGU und
anderer Fachgesellschaften, aber natürlich auch von Industrieverbänden hagelt
es Kritik am neuen Gesetz – wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten.
Wenn der Umsatz eines Arzneimittels, dem der G-BA einen
Zusatznutzen bescheinigt hat, in Zukunft im ersten Jahr nach Zulassung den Wert
von 250 Millionen Euro übersteigt, gilt laut Referentenentwurf rückwirkend ab
diesem Zeitpunkt der zwischen Pharmaunternehmen und GKV-Spitzenverband
verhandelte Erstattungsbeitrag. Bislang hatten die Pharmaunternehmen im ersten
Jahr nach Markteinführung während der Nutzenbewertung nach dem
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) freie Hand in der Preisgestaltung.
Dabei entstanden die angeblichen „Mondpreise“, die nun kräftig gestutzt werden
sollen.
Eine interessante Ergänzung im Verhandlungsreigen zwischen
Pharmaindustrie und Krankenkassen soll es bei den Arzneimitteln geben, denen
das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im
Auftrag des G-BA keinen Zusatznutzen zusprechen will. Nach den
AMNOG-Bestimmungen galten in diesem Fall bisher die Preise der preiswertesten
Vergleichstherapie. In der Regel handelte es sich dabei um Generika, die
häufig nur Cent-Beträge kosteten. Das Ergebnis: Oft nahm die Industrie solche
Präparate vom Markt. Hier kann die Pharmabranche nun in Verhandlungen mit den
Krankenkassen eintreten, um spezielle Preise auszuhandeln. Der Gesetzgeber
will damit erreichen, dass alternative Therapien auch ohne zusätzlichen Nutzen
bereitstehen, um Compliance-Problemen von Patienten besser begegnen zu können.
Punkt zwei des neuen Arzneigesetzes ist die Vertraulichkeit
der Erstattungspreise. Niedrige Erstattungspreise auf dem deutschen Referenzmarkt
haben aus Sicht der pharmazeutischen Industrie preismindernde und damit
umsatzfeindliche Effekte im Ausland. Dem hofft man durch das
Vertraulichkeitsgebot entgehen zu können. Offen ist aber noch, ob Ärzte und
Apotheker über Erstattungsbeträge informiert werden oder nicht.
Verlängerung des Preismoratoriums bis 2022?
Der dritte Punkt ärgert die Pharmaindustrie vermutlich am
meisten: Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sieht im
Gesetzentwurf „kontraproduktive Signale für den Standort Deutschland, weil das
Preismoratorium zum Stichtag 1. August 2009 nun bis 2022 verlängert werden
soll“ – eigentlich sollte es im Jahr 2017 auslaufen. Die Kritik des
BPI-Vorstandsvorsitzenden Dr. Martin Zentgraf fällt deutlich aus: „Der
Pharmaindustrie nach fast zwei Jahren Dialog die Verlängerung des
Preismoratoriums im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens unterzujubeln, ist nicht
nur schlechter Umgang. Die faktische Institutionalisierung einer solchen
Zwangsmaßnahme gefährdet den stark mittelständisch geprägten Industriezweig.
[...] Wir appellieren an das Bundesministerium für Wirtschaft, sich gegen die
gesetzlich angeordnete Planwirtschaft zu stellen.“
„Schon das faktische Einfrieren auf dem Preisstand vom
1.8.2009 für einen derart langen Zeitraum wird nicht für eine bessere und schon
gar nicht für eine sichere Arzneimittelversorgung sorgen. Die Begründung, dass
zur Verbesserung der Vergütung der Apotheken im Gegenzug Einsparungen bei der
pharmazeutischen Industrie generiert werden müssen, ist abenteuerlich und wird
die schon bestehende Empörung bei unseren Mitgliedern weiter verschärfen“, so
Zentgraf weiter. Kontraproduktive Signale für den Standort Deutschland seien
auch die Beschränkung der freien Preisbildung und eine Umsatzschwelle im ersten
Jahr, die einen erheblichen zusätzlichen Eingriff in einem ohnehin
durchregulierten Markt darstelle.
vfa kritisiert Entwurf bei Fach-Anhörung des BMG
Inzwischen fand eine Fach-Anhörung des Bundesministeriums
für Gesundheit zum Referentenentwurf in Berlin statt. Dabei erklärte Birgit
Fischer (Foto), die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden
Pharma-Unternehmen (vfa): „Dank intensiver Forschung und Entwicklung schaffen
Pharmaunternehmen zunehmend bessere Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten
für viele Krankheiten. Zwei Jahre lang haben deshalb drei Bundesministerien,
die Verbände der pharmazeutischen Industrie, die IG BCE und Vertreter der
Wissenschaft im Pharmadialog erarbeitet, wie diese Fortschritte besser als in
der Vergangenheit den Patienten zugänglich gemacht werden können [...]. Im
vorliegenden Gesetzentwurf wird diese ausdrückliche Absicht des Pharmadialogs
jedoch nicht eingelöst. Der Entwurf ist so unpräzise formuliert, dass er sogar
gegenteilige Auswirkungen haben kann, nämlich eine Einschränkung des Zugangs zu
neuen Therapien.“ Diesem Gesetzentwurf fehlt laut Fischer das „Bekenntnis zur
Versorgung der Patienten auf neuestem Forschungsstand und zum Ausbau des
Gesundheitsstandorts“.
Fachgesellschaften sehen gravierende Mängel
In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten sich auch die
DGU sowie weitere wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften zu dem
Entwurf. Nach ihrer Ansicht enthält das Papier zwar einige wichtige Aspekte,
aber auch gravierende Mängel. Prof. Bernhard Wörmann (Foto), Medizinischer Leiter der
Deutschen Gesellschaft für Hämato-Onkologie (DGHO) und Hauptautor der
Stellungnahme formuliert es so: „Grundsätzlich begrüßen wir, dass mit dem
geplanten Informationssystem verfügbare Daten zu neuen Arzneimitteln für
verordnende Ärztinnen und Ärzte transparenter gemacht werden sollen.“
Allerdings seien die aktuellen Ansätze seiner Ansicht nach nicht weitreichend
genug. „Um die Arzneimittelversorgung von Patienten wirklich verbessern zu
können, müssten neben den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung unbedingt auch
aktuelle Erkenntnisse über die Langzeitwirkung von Medikamenten sowie über
deren Nebenwirkungen enthalten sein.“ Zudem sollten die Wirksamkeit von
Arzneimitteln in bestimmten Subgruppen, relevante Biomarker und die
Empfehlungen aus Leitlinien aufgegriffen werden.
Kritisch beurteilen die Fachgesellschaften außerdem, dass
wissenschaftlich-medizinische Erkenntnisse zu wenig berücksichtigt werden.
Prof. Dirk Müller-Wieland, Mit-Autor der Stellungnahme, erklärt dazu: „Die
zukünftige Möglichkeit, Medikamentenverordnungen einzuschränken, kann nicht nur
auf einem Verfahren beruhen, das mit dem Ziel der Preisbildung gegründet
wurde.“ Immerhin könnten damit Therapiestandards beeinflusst werden, die
Millionen von Patienten betreffen. „Hier ist die Begleitung durch die
medizinische Wissenschaft unerlässlich“, so Müller-Wieland. Deren Expertise
sei darüber hinaus auch notwendig, um Erkenntnisse zu Arzneimitteln auf
Patientengruppen zu übertragen, für die keine Studienergebnisse vorliegen. Der G-BA
habe bisher keine Methodik zur Festlegung von solchen Subgruppen etabliert,
ergänzte Wörmann.
DGU-Kritik: Der Preis, nicht der Nutzen bestimmt die Therapie
Laut Referentenentwurf sollen Preisverhandlungen weiterhin
unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne potentielles Korrektiv allein
zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmen geführt
werden. „Wir empfehlen, dass die medizinische Plausibilität der Ergebnisse
dieser geheimen Verhandlungen am Ende unter Einbindung der medizinischen
Fachgesellschaften geprüft wird“, fordert Müller-Wieland. Gerade bei
chronischen Krankheiten sei ein solches Vorgehen relevant. Schließlich würde
die Versorgung dieser Patienten am Ende de facto wesentlich durch den Preis
bestimmt, nicht durch den Zusatznutzen.
Positiv beurteilen die Mediziner hingegen, dass der
Einheitliche Bewertungsmaßstab – also die Grundlage für die Abrechnung der
vertragsärztlichen Leistungen im ambulanten Bereich – zukünftig zeitgleich
angepasst werden soll, wenn absehbar ist, dass für den Einsatz eines neuen
Medikaments zusätzlich begleitende Diagnostik, etwa in Form von Gentests,
notwendig ist. „Hier bestand bisher eine Gesetzeslücke, die in den vergangenen
Jahren beispielsweise in der Onkologie vermutlich häufig zu einer
bedenklichen Unterversorgung von Patienten geführt hat“, erläutert Wörmann.
Dennoch fällt das Gesamturteil der Fachgesellschaften
kritisch aus: „Die Nutzenbewertungen von Medikamenten und die Entwicklung von
wissenschaftlich medizinischen Leitlinien sind zu wenig miteinander verbunden“,
so DGU und andere Fachgesellschaften. Dies aber führe zu Verwirrungen bei
Patienten, Ärzten und Apothekern – und behindere die Umsetzung von
Innovationen.
(Autor: Franz-Günter Runkel / 31.10.2016)
Freitag, 21. Oktober 2016
Historische Zäsur in der PSA-Politik
Vorsicht ist geboten beim Umgang mit großen Vokabeln, aber
heute kann man durchaus eine riskieren: In der Abrechnung der PSA-Bestimmung
gibt es eine historische Zäsur in einer zentralen berufspolitischen Frage der
Urologie zu melden: Die individuelle Gesundheitsleistung PSA-Bestimmung wird in
Baden-Württemberg für eine bedeutende Patientengruppe der AOK und der BKK Bosch
zur regionalen GKV-Leistung. Dies ist Teil des Selektivvertrags Urologie, den BDU und AGNU
im Ländle unter dem Medi-Dach mit den beiden Krankenkassen geschlossen haben. Zum ersten Mal in der urologischen Honorarpolitik der
Bundesrepublik wird die PSA-Bestimmung damit in einem ganzen Bundesland eine Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Freilich jubeln nicht alle Urologen in Baden-Württemberg,
denn solche mit hoher IGeL-Quote in der Krebsvorsorge ärgern sich wohl schwarz,
weil der GKV-Obulus deutlich niedriger ist als die Privateinnahme. Diese
Urologen werden dem Facharztvertrag wohl auch die kalte Schulter zeigen, obwohl
er sonst wirklich sehr attraktive Teile für die Urologen enthält, zum Beispiel
bei Gesprächsleistungen oder beim Röntgen und der Zystoskopie.
Umfassende Änderungen deuteten sich auf dem gerade
beendeten DGU-Kongress auch in der ökonomischen Struktur des Berufsverbands
und im Verhältnis von BDU und DGU an. Im Gespräch mit UroForum beschrieb
BDU-Geschäftsführer Dr. Roland Zielke die Gründung der
BDU-Service-GmbH nach dem Sanakey-Muster des Spitzenverbands Fachärzte. In
Zukunft könnte sich in der Gesellschaft all das abspielen, was einem
gemeinnützigen Verein in diesem Land wirtschaftlich verwehrt ist. Parallel dazu wurde die Uro-Genossenschaft Bund der Urologen in Leipzig aufgelöst.
Der Berufsverband pocht offenbar wieder stärker auf seine
politische Führungsrolle im Tandem DGU-BDU und strebt eine Neuausrichtung der
jeweiligen Verbandsaufgaben an. Zum Beispiel soll die Zuständigkeit für das
Politische, also Gesundheits- und Berufspolitik, neu zwischen den Verbänden
aufgeteilt werden. Beide Seiten werden sich zusammenraufen müssen.
Eher zum Haare raufen ist das neue Gesetz zur Stärkung der
Arzneimittelversorgung in der GKV. Sicher kann man über die
Berechtigung der Preishöhe bei neuen Arzneimitteln streiten, aber der
marktfeindliche Ansatz des Gesetzes wird eines wohl keinesfalls bewirken: die
Verbesserung der Arzneimittelversorgung.
Autor: Franz-Günter Runkel / 21.10.2016
Selektivvertrag Urologie in Baden-Württemberg macht PSA-Bestimmung zur GKV-Leistung
Rund 200 Urologen nehmen am Facharztvertrag Urologie in
Baden-Württemberg teil, der am 4. Oktober in Kraft getreten ist. Der
Selektivvertrag nach § 140a SGB V gilt für alle urologischen Patienten der AOK
und der BKK Bosch. Der Urologe erhält für die PSA-Bestimmung eine
Zusatzpauschale von zwei Euro sowie eine erhöhte Vorsorge-Pauschale von rund 20
Euro. Es handelt sich um den bundesweit ersten Fall, dass die PSA-Messung in
bestimmten Fällen und abhängig von einer Vorsorgeberatung zur GKV-Leistung
wird. Einige Urologen mit hohem IGeL-Vorsorge-Anteil sehen es kritisch.
Auf Seiten der Urologie sind der Berufsverband sowie die
Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Urologen (AGNU) Vertragspartner. Als
ärztliche Dachorganisation wirkte der MEDI-Verbund in Baden-Württemberg mit
Werner Baumgärtner an der Spitze mit. Am 13. Juni begann für den
Facharztvertrag Urologie in Baden-Württemberg das Unterschriftenverfahren. Der
urologische Selektivvertrag ist in Baden-Württemberg die insgesamt fünfte
Regelung seit 2010 nach den Verträgen für Kardiologie, Gastroenterologie,
Psychiatrie-Neurologie-Psychotherapie und Orthopädie bzw. Chirurgie.
Quorum der Vertragsteilnehmer ist übererfüllt
Die Historie der Selektivverträge begann mit den
Hausarztverträgen nach § 73b SGB V sowie den Facharztverträgen nach § 73c SGB
V. Im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes hat Bundesgesundheitsminister
Hermann Gröhe bzw. der Bundestag die gesetzliche Grundlage verändert. Seitdem
werden diese Verträge nach § 140a SGB V im Zuge des Gesundheitsstrukturgesetzes
abgeschlossen. Im Prinzip sind die rechtlichen Regelungen identisch, aber der
Staat hat nach § 140a SGB V eine theoretisch größere steuernde
Einflussmöglichkeit. Wie Dr. Markus Ksoll, BDU-Landesvorsitzender in
Württemberg, im Gespräch mit UroForum erklärte, werden rund 200 Urologen am
Vertrag teilnehmen. Damit ist das Quorum von 150 Teilnehmern erfüllt.
Grunddaten Facharztvertrag
Vertragsbeginn: 4. Oktober 2016,
Laufzeit Kassen: fünf Jahre, optional zehn Jahre,
Kündigungsfrist Urologen:
drei Monate,
Grundpauschale: 25 Euro,
Überweisungszuschlag: 5 Euro,
Fallwert pro Patient: rund 73 Euro,
Zuschläge für: Psychosomatik, Röntgen, Abdomen-Sonografie,
Duplex Sonografie und rationale medikamentöse Therapie,
Vergleich KV-Fallwert: plus 30 %,
Gesamtvergütung ohne Obergrenze.
Markus Ksoll zu diesem Vertrag: „Es ist eine
zukunftsweisende vertragliche Regelung, die sowohl den Patienten als auch den
Urologen etwas Konkretes bringt. Insofern sind wir mit dem Facharztvertrag
zufrieden. Viele Urologen haben noch Probleme mit der PSA-Regelung, weil die
individuelle Gesundheitsleistung PSA-Bestimmung eine Art heilige Kuh der
Urologie ist. Es geht aber nur um den PSA-Wert, sodass alle anderen
individuellen Gesundheitsleistungen in der Vorsorge und anderswo auch in
Zukunft uneingeschränkt möglich sein werden.“
Die PSA-Vertragsregelung orientiert sich an der S3-Leitlinie
der Urologen. Die AOK zahlt nur, wenn die PSA-Bestimmung zu diesem Zeitpunkt
von der S3-Leitlinie empfohlen wird, so Ksoll. In allen anderen Fällen muss der
Patient wie gehabt die Wunschleistung PSA als Privatleistung bezahlen. „Wir
Urologen erhalten dafür pro Patient eine Zusatzpauschale von zwei Euro. Die
Vorsorge, die im GKV-Bereich mit 14,50 € honoriert wird, ergibt jetzt für AOK und
BKK Bosch rund 20 Euro“, beziffert Markus Ksoll den Ertrag. Damit aber ist die
PSA-Bestimmung laut S3-Leitlinie für AOK- und BKK-Bosch-Patienten eine
regionale Kassenleistung geworden. Die GKV-Leistung PSA ist allerdings nur für
Urologen mit durchschnittlicher IGeL-Quote bei der PSA-Bestimmung interessant
Die Vertragsverhandlungen zogen sich sehr in die Länge und
standen mehr als einmal kurz vor dem Abbruch, weil das komplexe Geflecht aus
Grundpauschalen und Einzelleistungen in der Urologie schwer verhandelbar ist.
Daher beziffert MEDI die Vertragskosten bis zum Inkrafttreten auch auf etwa
eine Million Euro.
Problemfall Zystoskopie
Für die finanzielle Bewertung der Zystoskopie zum Beispiel
ist eine Fülle von Hygienevorschriften zu beachten. „Es geht nicht nur um die
ärztliche Leistung, sondern auch um die aufwändige Sterilisierung der Geräte.
Die männliche Zystoskopie war im KV-System mit rund 45 Euro honoriert. Im
Selektivvertrag ist sie jetzt mit 90 Euro bewertet, also verdoppelt. Die
weibliche Zystoskopie kostete im KV-System 25 Euro und erbringt jetzt fast die
doppelte Summe: 45 Euro. Bei der Prostata-Biopsie sieht es ähnlich aus“,
beschreibt Markus Ksoll die neue Regelung.
Der AOK kam es auf die Ausweitung der Gesprächsleistungen
bei schweren Erkrankungen an. „Jetzt gibt es eine Staffelungsregelung. Es gibt
sogenannte Beratungsgespräche, die einen Preiswert von 15 Euro haben und die
mit 17 Euro pro Zehn-Minuten-Einheit vergütet werden. Je nach Schwere der
Erkrankung kann ich eine bestimmte Anzahl von Gesprächseinheiten pro Jahr
abrechnen. Bei einer bösartigen Erkrankung sind es zum Beispiel sechs Gespräche
zwischen 40 und 60 Minuten im Jahr. Bei Metastasierung, also in einer
palliativen Situation, sind zusätzlich drei Gespräche abrechenbar. Unter dem
Strich macht das neun Gespräche pro Jahr. Eine BPH erlaubt zwei
Beratungsgespräche zu je zehn Minuten jährlich. In der Sache bedeutet es, dass
man sich für Krebspatienten mehr Zeit nehmen kann und nicht nur Apparatemedizin
betreibt“, erklärt der BDU-Landesvorsitzende.
Natürlich sei es eine leistungsbezogene Honorierung, die
von der Zusatzweiterbildung und der Erbringung der ambulanten Chemotherapie in
der Praxis abhängig sei. Noch einen Punkt fügt Ksoll an: Die Pauschalen gemäß
Onkologievereinbarung werden als Vorhaltepauschalen weiter vergütet und um eine
Pauschale für die orale medikamentöse Tumortherapie in Höhe von 25 Euro
erweitert.
Katheterwechsel im Altenheim plus Hausbesuch
Für den Katheterwechsel im Altenheim steht eine Katheterwechselpauschale
von 35 Euro pro Patient im Vertrag. Außerdem gibt es eine zusätzliche Pauschale
für Hausbesuche in Höhe von 15 Euro pro Patient. Dabei kann jeder Besuch
einzeln abgerechnet werden. Wenn ein Urologe im Caritas-Heim zehn Katheter wechselt,
erhält er also 500 Euro dafür.Ein zweites Thema in diesem Zusammenhang ist die
sogenannte „Urologische EFA“, also eine fachlich besonders qualifizierte
Arzthelferin. Die beiden Krankenkassen wollen beim ersten Beratungsgespräch im
Jahr einen Zuschlag von fünf Euro bezahlen. Außerdem soll es einen
Grundpauschalen-Zuschlag von fünf Euro geben. „Dieses Thema wird derzeit noch
mit den Kassen verhandelt. Ich bin der Auffassung, dass eine Mitarbeiterin, die
zehn Jahre in einer urologischen Praxis arbeitet, kein Zertifikat und kein
Curriculum benötigt. Sie beherrscht den Katheterwechsel. Wenn eine solche EFA
einen Hausbesuch übernimmt, dann kann der Hausbesuch unter der Supervision
eines Urologen abgerechnet werden“, sagt Ksoll. Derzeit sei die Regelung aber
noch nicht in Kraft, sodass der persönliche Hausbesuch des Urologen noch
Voraussetzung für die Abrechnung ist. Die zweite und dritte ESWL bei komplexen
Harnleitersteinen war bislang ein Problem und schwer abzurechnen. Jetzt sind
laut Ksoll im Krankheitsfall für beide Seiten insgesamt sechs Behandlungen pro
Urolithiasis möglich.
Splittingregel für konventionelles und digitales Röntgen
Für die Röntgendiagnostik im Sinne der Teilgebietsradiologie
sieht der Vertrag eine interessante Splittingregelung vor: Das konventionelle
Röntgen mit in der Regel älteren Geräten wird nur noch mit 1,50 Euro pro Fall
pauschal vergütet, während das moderne
digitale Röntgen 2,50 Euro erbringt. Ksolls Standpunkt dazu: „Immerhin verfügen
noch 40 % aller Urologen über ein eigenes Röntgengerät und bieten die
Teilradiologie an. Kein Urologe hätte das unterschrieben, wenn nicht die
Möglichkeit bestanden hätte, den Betrieb eines solchen Gerätes über eine
Pauschale zu finanzieren. Das Röntgen ist ein Serviceangebot und die jetzige
Honorarregelung wird sicher nicht dazu führen, dass wieder mehr Urologen neue
Röntgengeräte kaufen“. Trotzdem setzt der Selektivvertrag auch in der
Medizintechnik innovative Reize, die Praxisinvestitionen zumindest erwägenswert
machen.
Autor: Franz-Günter Runkel / 21.10.2016
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