Das Generalthema
„Zukunftsgestaltung“ des Krankenhaustags im Rahmen der Medica 2016 in
Düsseldorf verkam angesichts der gemischten Jahresbilanz der politischen
Krankenhausfunktionäre zur Makulatur. Während DKG-Präsident Thomas Reumann 500
Millionen Euro aus dem Krankenhausstrukturgesetz in den Häusern vermisste,
warnte VLK-Präsident Prof. Hans-Fred Weiser vor einer Ausdünnung der
Versorgungslandschaft, die politisch als Qualitätsoffensive getarnt werde. Dass
auch in der Pflege noch viel im Argen liegt, verdeutlichten die Statements der
Kongresspräsidentin Irene Maier.
DKG-Präsident Thomas Reumann (r.) und VKD-Präsident Dr. Josef Düllings (l.) vor der Presse.
Thomas Reumann, Präsident
der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zog vor der Presse knapp ein Jahr
nach Inkrafttreten des Krankenhausstrukturgesetzes eine erste Zwischenbilanz:
Den Kliniken sei es zusammen mit der Politik gelungen, ein ganzes Bündel von
Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung auf den Weg zu bringen.
„Mit dem Pflegezuschlag, der Tarifausgleichsrate und den Förderprogrammen für
Pflegestellen und Hygiene wurden wichtige Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass die Mitarbeiter in den Kliniken fair bezahlt und notwendige zusätzliche
Kräfte eingestellt werden können“, so der DKG-Präsident.
Insgesamt
seien die Rahmenbedingungen für die laufenden Kosten der Krankenhäuser deutlich
verbessert worden. „Aber wir müssen ein Jahr später auch feststellen, dass
insbesondere die Kostenträger immer wieder Entscheidungen hinauszögern oder aber in der Umsetzung so
abändern, dass bei den Kliniken das vorgesehene Geld nicht ankommt. Insgesamt
stehen 500 Millionen Euro, die 2016 an die Krankenhäuser fließen sollten, im
Stau“, kritisierte er. Beispielhaft nannte Reumann die Zentrumszuschläge, die
Finanzierung der Hochschulambulanzen oder die stationäre Notfallversorgung.
„Wer die Notfallversorgung tatsächlich verbessern will, muss sicherstellen,
dass Notfälle nicht länger strukturell unterfinanziert und durch
Budgetregelungen gedeckelt werden“, forderte Reumann. Es gebe jährlich elf
Millionen ambulante Notfälle in den Krankenhäusern. „Solange wir keine
sachgerechte und faire Finanzierung erhalten, werden wir dieses Problem nicht
schultern können.“
Facharztstatus
in Ambulanzen liegt der DKG schwer im Magen
Bei den Zentrumszuschlägen
sei es nicht nachvollziehbar, wenn die Krankenkassen als Förderer der Zentren
Kriterien für die Anerkennung formulierten, die vorhandene Zentren gefährdeten
oder sogar zerschlügen.
Schwierig sei auch die
Situation der Hochschulambulanzen. Eine Hürde liege in der Komplexität der
zwei- oder gar dreiseitigen Verträge zwischen DKG, Krankenkassen und der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Schwer im Magen liegt der DKG
offenbar der geforderte Facharztstatus in den Ambulanzen, der ein Streitpunkt
mit der KBV ist. „Der EBM-Bezug wird der Finanzierung der Hochschulambulanzen
nicht gerecht. Deshalb liegen wir in diesem Punkt deutlich auseinander“, klagte
Reumann.
Sprechen
Mindestmengen für die klinische Qualität?
Prof. Hans-Fred Weiser,
Präsident des Verbands der leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK),
erinnerte an seine skeptische Beurteilung der mit dem Krankenhaustrukturgesetz
eingeführten „Qualitätsoffensive“ der Bundesregierung. „Diese sogenannte
‚Qualitätsoffensive‘ mausert sich immer mehr zu einem Instrument der Ausdünnung
der Versorgungslandschaft in unserem Land“, kritisierte Weiser. In dieses Bild
passten auch die beim Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im
Gesundheitswesen (IQTiG) beauftragten planungsrelevanten Qualitätsindikatoren.
„In
der Geburtshilfe zum Beispiel besteht ein Qualitätsindikator in der Anzahl der
schweren Dammrisse bei spontan Gebärenden. Schwere Dammrisse werden dabei in
einer Menge von 3 % angegeben. Diese Anzahl soll gleichbedeutend mit Qualität
sein. Tatsächlich ereignen sich solche Dammrisse aber in bis zu 10 % der Fälle.
Die Konsequenz wird also sein, dass es in Zukunft weniger Spontangeburten und
viel mehr Kaiserschnitte geben wird. Aus meiner Sicht hat dies nicht das
Geringste mit Qualität zu tun“, kommentierte Weiser.
Auch
die Einführung von Mindestmengen solle die Qualität steigern. „Mittlerweile
gelten Mindestmengen als Indikatoren für Qualität. Dies aber ist vollkommen
falsch. Auch dies wird als Instrument zur Ausdünnung der Versorgungslandschaft
missbraucht“, so Weiser. Der VLK stehe der nicht evidenzbasierten,
generalisierenden Annahme, dass mit der Anzahl erbrachter Leistungen auch die
Qualität der Leistungserbringung steige, nach wie vor ablehnend gegenüber, denn
wenn der qualitätssteigernde Effekt von Mindestmengen nicht durch Studien hohen
Evidenzgrades belegt werden müsse, führe dies zu einer GKV-initiierten,
inflationären Ausweitung der Anzahl von Mindestmengen, deren vordergründiges
Ziel die Kostenreduzierung und nicht die Qualitätssteigerung sei. „Sinnvoll und
sachgerecht erscheint die Vorgabe von Mindestmengen nur dann, wenn diese dazu
dienen, Gelegenheitseingriffe bei komplexen medizinischen Leistungen durch
ungeeignete Leistungserbringer zu verhindern“, schloss Weiser.
Kongresspräsidentin Irene Maier (l.) und VLK-Präsident Prof. Hans-Fred Weiser (r.) fanden deutliche Worte.
Ein
Stein fiel Irene Maier, Kongresspräsidentin des 39. Deutschen Krankenhaustags
und Pflegedirektorin des Universitätsklinikums Essen, vom Herzen, als
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe anlässlich der Eröffnungsveranstaltung
ankündigte, das Pflegeberufsgesetz noch in dieser Legislaturperiode in Kraft
treten lassen zu wollen. Zuvor waren Zweifel daran aufgekommen, weil
parlamentarische Beratungen ohne Angabe von Gründen ausgesetzt worden waren.
„Es ist skandalös“, so Maier vor dem Krankenhaustag, „wenn die Verabschiedung
des Pflegeberufsgesetzes bewusst in die nächste Legislaturperiode verschleppt
wird.“
Längst
sei die Versorgung nicht mehr trennend organisiert, sondern
sektorenübergreifend und interdisziplinär. „Wir haben demenzkranke alte
Menschen, die im Krankenhaus wegen einer Oberschenkelhalsfraktur versorgt
werden; wir haben aber auch im Altenheim viele Menschen, die krank und
pflegebedürftig bleiben. Wir drängen die Politik deshalb, das
Pflegeberufsgesetz zu verabschieden“, forderte Maier. Daneben werde aber auch
dringend eine attraktive Ausbildung benötigt – einschließlich einer
Hochschulausbildung im Pflegebereich, sodass das Bedürfnis nach Qualifikation
und persönlicher Entwicklung in den Pflegeberufen befriedigt werden könne. „Wir
setzen außerdem auf die Expertengruppe des Bundesgesundheitsministeriums, um
effektive Personalbemessungsinstrumente für die Krankenhäuser entwickeln zu
können. Es geht darum, den realen Bedarf der Patienten zu decken, aber auch den
der Angehörigen, denn auch diese benötigen Schulung und Beratung“, unterstrich
die Kongresspräsidentin.
Maier
nannte zwei Zahlen, um die Dimension des Pflegeproblems deutlich zu machen: Der im Rahmen des
Krankenhausstrukturgesetzes gewährte Pflegekostenzuschlag von 500 Millionen
Euro jährlich decke nur ein Fünftel des tatsächlichen Bedarfs. Das
Pflegestellenprogramm erlaube gerade einmal die Einstellung von drei
Pflegefachpersonen pro Krankenhaus. Bereits heute prägten akuter Personalmangel
und gut 50.000 offene Pflegestellen die zunehmend prekäre Lage auf den
Stationen.
VKD
fordert flächendeckende Einführung der EPA
Die Digitalisierung der
Gesundheitsbranche war ein dominantes Thema des Krankenhaustags. „Wir fordern
ein nationales Investitionsprogramm zur flächendeckenden Einführung der
elektronischen Patientenakte EPA“, so Dr. Josef Düllings, Präsident des
Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD). Nach einer Studie der
Stiftung Münch erreiche Deutschland im Vergleich mit 20 europäischen Ländern
mit Ach und Krach einen Platz im Digitalisierungsmittelfeld.
„Die IT-Infrastruktur sollte
auch in Deutschland eine öffentliche Aufgabe sein“, so Düllings weiter. Hier
sei die öffentliche Hand in der Pflicht, da es um eine Infrastrukturleistung
gehe, die wiederum Voraussetzung für eine bessere Patientenversorgung sei. Die
digitale Realität in Deutschland beschrieb Düllings als eher trist: „Nur sechs
Prozent der Kliniken mit Akutversorgung sind mit anderen Akteuren des
Gesundheitswesens auf regionaler oder nationaler Ebene vernetzt. In Dänemark,
Island und Schweden gilt dies für gut 50 Prozent der Häuser“, erläuterte
Düllings. 85 von 100 US-Krankenhäusern seien digital voll vernetzt. Die
Übertragung der US-Quote nach Deutschland würde Investitionen in Höhe von 1,55
Milliarden Euro pro Jahr bedeuten.
Digitalisierung erlaubt bessere Nutzung der
Ressourcen
Dabei
liegen die Vorteile eines digital verbundenen Gesundheitswesens für Düllings
auf der Hand. Die Münch-Studie verweise in diesem Zusammenhang auf eine
effektivere und effizientere sowie leitliniengetreuere Versorgung, weniger
Medikationsfehler sowie einen ressourcenschonenderen Umgang mit
Versorgungsleistungen. „Darüber hinaus sollten bei der Förderung einer
funktionsfähigen IT-Infrastruktur auch die Optionen der individuellen
Digitalisierung geprüft werden, zum Beispiel Möglichkeiten zur Nutzung von
Health-Apps“, machte der VKD-Präsident deutlich. Grundsätzlich sei der Patient
aufgrund mobiler Internetnutzung und Wissensmanagements im Behandlungsprozess
heute viel intensiver eingebunden. Smartphone-Apps gehörten für viele Menschen
zum gesundheitsbewussten Alltag. Daher stünden die Tore zur digitalen
Gesundheitswelt weit offen.
Autor: Franz-Günter Runkel