In einer bemerkenswerten Forumsitzung zur Gendermedizin im Rahmen der
bayerisch-österreichischen Urologentagung im Sommer in Augsburg ging
es um Karrierechancen von Urologinnen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Arztberuf. Zwei Drittel der Ärztinnen glauben nicht an gleiche Karrierechancen wie ihre männlichen Kollegen.
es um Karrierechancen von Urologinnen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Arztberuf. Zwei Drittel der Ärztinnen glauben nicht an gleiche Karrierechancen wie ihre männlichen Kollegen.
Kongresspräsidentin Prof. Dorothea Weckermann
warnte vor „Social Freezing“ und forderte bessere Strukturen, um familiäre und
berufliche Interessen unter einen Hut zu bringen.Weckermann begründete die Wahl des Veranstaltungsmottos „Urologie
attraktiv gestalten“ in ihrer Eröffnungsrede: „Ich habe dieses Kongressthema
ausgesucht, weil ich zeigen wollte, wohin wir kommen können, wenn es uns nicht
gelingt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Urologinnen zu
verbessern.“
Für die allgemeine Einordnung des Themas sorgte die Berliner
Unternehmerin Dr. Martina Kloepfer, die Initiatorin und Präsidentin der
Veranstaltungsreihe „Bundeskongress Gender-Gesundheit“ ist. Diese Reihe
beschäftigt sich mit den geschlechtsspezifischen Aspekten der medizinischen
Versorgung und des gesamten Gesundheitssystems. Seit 14 Jahren schon sind
Frauen im Medizinstudium stärker vertreten als Männer. „2006 betrug der Anteil
der Frauen im Medizinstudium nach Zahlen des Statistischen Bundesamts bereits
63 %“, erklärte Kloepfer. Später jedoch drehen sich die Relationen um, denn
40 % der Männer nehmen eine Oberarzt-Position an, während es bei den Frauen
nur 27 % sind. Chefärztinnen in der Urologie warten dann nur noch mit
einstelligen Prozentanteilen auf.
40 % der Ärztinnen arbeiten weniger als 20 Wochenstunden
Allerdings, so berichtete Kloepfer, würden Frauen schon ihr
Medizinstudium oft aus rein altruistischen Motiven starten, während Männer mehr
an Fortkommen und Karriere dächten: „Unter dem Strich nehmen Frauen ein
Medizinstudium eher aus idealistischen Helfer-Vorstellungen heraus auf, während
Männer den Schwerpunkt auf strategische Überlegungen wie Karriereplanung
legen.“ Sobald Kinder geboren werden, arbeiten Frauen sehr schnell auf
Teilzeit-Stellen. „40,2 % der Ärztinnen arbeiten dann weniger als 20
Wochenstunden. Die Männer arbeiten sehr häufig 45 Stunden pro Woche und mehr.
Das beeinflusst natürlich erheblich den weiteren Karriereweg.“
Zwei Drittel der Frauen glauben nicht an gleiche Karrierechancen
Dr. Ulrike Necknig (Foto), Oberärztin der Klinik für Urologie und Leiterin der
Abteilung Kinderurologie im Klinikum Garmisch-Partenkirchen, ging auf eine
Umfrage des Hartmannbundes (s. Tab.) von 2014 zu den Karriereerwartungen von
Frauen im Arztberuf. „Zwei Drittel der befragten Ärztinnen glaubten nicht,
dieselben Karrierechancen zu haben wie ihre männlichen Kollegen. 20 % der
Befragten glaubten, dass dies vielleicht der Fall sein würde“, fasste Necknig
zusammen. Vier von zehn Frauen möchten nach Erreichen des Facharztes nur noch
teilweise arbeiten. Die Generation Y ist intensives Arbeiten und lebenslanges
Lernen gewöhnt, hat aber eine eingebaute Burn-out-Sperre und legt großen Wert
auf flexible Arbeitszeiten sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Diese
Generation wird in einem System der befristeten Arbeitsverträge sowie der
anwachsenden Bürokratisierung und Arbeitsverdichtung groß, so Necknig.
Frauen sehen
sich aus Necknigs Sicht vor allem als Betreuungspersonen, die sich aus der
Sorge um die Familie aus der aktiven Rolle im Beruf zurückzögen. Männer
hingegen sähen sich familiär eher als Beziehungspersonen, die unterstützende
Arbeiten ausführten. „Der Wiedereinstieg in eine Vollzeitstelle wird mit
zunehmender Teilzeittätigkeit immer schwieriger. Teilzeitbeschäftigte werden in
den Betrieben oft schlechter eingeschätzt, abgewertet und auf weniger wichtige
Positionen abgeschoben. Erfolg im Beruf wird laut einer US-Studie vor allem als
männliche Eigenschaft angesehen. Beliebtheit bei Männern und Erfolg im Beruf
korreliert positiv, bei Frauen ist es negativ“, unterstrich Necknig. Laut einer
Untersuchung des Bundesministeriums für Familie und Gesundheit sei Mutterschaft oft mit
Teilzeitbeschäftigung und Karriereknick assoziiert. „Eine Teilzeitbeschäftigung
wird für Frauen schnell zur Karrierefalle“, machte Ulrike Necknig deutlich.
Um der
Karrierefalle zu entgehen, unterstützen Unternehmen wie Facebook und Google das
sogenannte Social Freezing ideell und materiell. Social Freezing ist nicht
medizinisch indiziert, sondern der Begriff beschreibt die Kryo-Konservierung
von Eizellen einer gesunden Frau, um später eine Schwangerschaft einzugehen. Ein
wesentlicher Grund ist, zunächst einmal Karriere machen zu können und später
Kinder zu bekommen.
Prof.
Florian Steger (Foto), Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der
Medizin an der Universität Ulm, nahm eine ethische Einordnung des Phänomens
vor. „Aus juristischer Sicht muss die obligatorische Aufklärung bei Social
Freezing eine Freiwilligkeit gewährleisten und hier taucht ein relevantes
medizinethisches Problem auf. Da darf man sicher ein Fragezeichen setzen, denn
Interessen Dritter können hier sehr wohl eine Rolle spielen“, merkte Steger mit
Hinweis auf Google und Facebook an. Wenn die obligatorische Beratung der Frauen
rechtssicher sein soll, wird es laut Steger schwierig: „Das Problem besteht
hier im Mangel an Langzeitdaten zum Social Freezing. Evidenzgesicherte Aussagen
sind in der Aufklärung zum Social Freezing nicht durchgehend möglich.“
Der zweite
schwierige Aspekt des Social Freezing ist die Sozialethik. „Mittlerweile haben
Firmen finanzielle Programme zur Unterstützung ihrer Mitarbeiterinnen
aufgelegt. Zu diesem Thema gibt es aktuelle wissenschaftliche Daten der
Universität Halle. Seit 2014 unterstützen Google und Facebook ihre
Mitarbeiterinnen dabei, sich für eine Kryokonservierung von Eizellen zu
entscheiden. Dies geschah explizit mit dem Hinweis auf die selbstbestimmte
Lebensplanung. Wie hat nun die Bevölkerung auf dieses Thema reagiert? Es gibt
eine FORSA-Befragung aus dem Jahr 2016, an der 1.061 Männer und Frauen zwischen
18 und 30 Jahren teilnahmen. 64 % der Befragten mit Kind oder Kinderwunsch sind
dem Social Freezing gegenüber aufgeschlossen: 31 % sagen, dass sie sich das
Verfahren für sich vorstellen können und 33 % finden es grundsätzlich
akzeptabel. Es gibt also in der Bevölkerung eine große Zustimmung für diese
Möglichkeit der selbstbestimmten Familien- und Lebensplanung“, erläuterte
Steger die Situation.
Über Freiwilligkeit lässt sich bei Social Freezing streiten
Aus Sicht der Medizinethik zweifelte Steger an, dass es sich tatsächlich
um eine Form der weiblichen Selbstbestimmung handele. Einerseits sähen es die
Frauen als selbstbestimmten Schritt zur Schwangerschaft, andererseits spürten
viele, dass die Freiwilligkeit in Gefahr gerate. Es gehe ein gesellschaftlicher
Druck sowie auch ein Druck vom Arbeitgeber aus. „Hätten diese Frauen eine
bessere Option der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wäre der Druck nicht so
hoch“, betonte Steger. Ein weiterer Aspekt sind die Risiken von Social
Freezing. Viele Kryokonservierungen von Eizellen führen zu
Mehrlingsschwangerschaften sowie zu Frühgeburten, stellen die Gynäkologen fest.
Ältere Frauen erleiden öfter Komplikationen bei der Schwangerschaft. Zu den
Auswirkungen des Social Freezing auf die Kinder gibt es bislang überhaupt keine
Daten, so Steger.
Die Frauen selbst scheinen ebenfalls skeptisch zu sein, denn die
Nachfrage nach Aufklärung und Social Freezing bei niedergelassenen Gynäkologen
ist bislang eher schwach, berichtete Steger. Es werde kaum einmal nach einer
solchen Beratung gefragt. Wenn Frauen kommen, sind sie zwischen 35 und 40 Jahre
alt. Reproduktionsbiologisch ist dies zu spät, wenn sie zuvor keine Eizellen
kryokonserviert haben. Mitten in der beruflichen Karriere wächst die
Erkenntnis, dass die weibliche Fertilität zeitlich begrenzt ist. Sie kommen
alle zu spät, so der Medizinethiker. Unter dem Strich sei Social Freezing in
der gynäkologischen Praxis nur ein marginales Thema.
Der gesellschaftliche Druck komme einer
Nötigung nahe.
Ob Social Freezing also Ausdruck der reproduktionsmedizinischen
Selbstbestimmung der Frau ist, wird also sehr kontrovers diskutiert.
„Grundsätzlich bedeutet die freiwillige Entscheidung schon, dass die Frau über
ihre reproduktionsmedizinische Rolle selbst bestimmt. Aber der aufgebaute
gesellschaftliche Druck ist erheblich und wird von einigen als Form der
Nötigung angesehen“, so Steger. Gesellschaftspolitisch stehe die Frau zwischen
Mutterschaft und Karriere bzw. ökonomischer Autonomie. „Mit Social Freezing“,
so Steger weiter, „werden wir nicht die gesellschaftspolitische Aufgabe lösen. Frauen sollten
Möglichkeiten haben, jenseits von Social Freezing ihre Karriere zu verfolgen.“
(Autor: Franz-Günter Runkel)