Der Sachverständigenrat
zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen arbeitet an einer
radikalen Fusion des ambulanten und des stationären Versorgungssektors mit
einer einheitlichen Gebührenordnung für beide Bereiche. Die Überwindung der
sektoralen Aufspaltung des Gesundheitswesens war das Leitthema auf dem
Gesundheitskongress des Westens vom 7. bis 8. März
in Köln. Prof. Wolfgang Greiner, Mitglied des Sachverständigenrats, plädierte für eine radikale Harmonisierung in einem Schritt. Natürlich stieß dieses Ansinnen bei den ärztlichen Standesvertretern auf scharfe Kritik.
in Köln. Prof. Wolfgang Greiner, Mitglied des Sachverständigenrats, plädierte für eine radikale Harmonisierung in einem Schritt. Natürlich stieß dieses Ansinnen bei den ärztlichen Standesvertretern auf scharfe Kritik.
Bei der Kongresseröffnung prangerte die
nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens „die Kluft
zwischen ambulantem und stationärem Sektor“ an. Informationsaustausch und
Kommunikation zwischen den Sektoren seien schlecht. Trotz Digitalisierung sei
die elektronische Vernetzung der Leistungserbringer zwischen den Sektoren
mangelhaft. Weder die elektronische Patientenakte noch die Fallakte sei in
Sicht. BMG-Abteilungsleiter Oliver Schenk betonte:
„Für das Bundesgesundheitsministerium ist die Überwindung der
Schnittstellen die zentrale Richtschnur des Handelns für die Zukunft.“
Pro und Kontra zur radikalen Systemreform
Prof. Wolfgang Greiner,
Mitglied des Sachverständigenrats, beschrieb auf der Kongresspressekonferenz
den Plan seines Gremiums: „Unser Vorhaben bezieht sich genau auf diesen Punkt
der Überwindung der Sektorengrenzen im Gesundheitswesen. Im Grunde geht unser
Konzept mehr in Richtung eines ‚Big Bang‘. Wir glauben eigentlich nicht
mehr, dass wir durch Änderungen im Detail, also gemeinsame Budgets oder
gemeinsame Komplexpauschalen zwischen den einzelnen Sektoren, das Grundproblem
lösen können. Die Schaffung eines weiteren
Versorgungssektors wird nicht die Zukunft sein. Wir werden ein ganz anderes
System haben müssen, um die Probleme zu lösen.“
Bei aller Begeisterung
sah Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK Gesundheit, große Hürden vor
einer radikalen Systemreform. „Es gibt zu viele Player im System, die bei einer
solchen Lösung nicht mitmachen werden. Es gibt auch viele verfassungsrechtliche
Hürden“, betonte Storm. In der nächsten Legislaturperiode gehe es zunächst
darum, die sektorübergreifende Versorgung aus ihrem Nischendasein
herauszuführen.
Pauschalen für Technik und ärztliche Leistung
Bei einer weiteren Kongressveranstaltung zu den Chancen einer neuen einheitlichen Vergütungsordnung für
ambulante und stationäre Leistungen wurde der Kern des Sektorenproblems
sichtbar: Lagerdenken und organisatorische Zementierung der Sektoren. Für Dr.
Wolfgang Dryden, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe,
war Honorarpolitik immer auch Strukturpolitik. Drydens Grundfrage also lautete:
„Wohin soll eine Vergütungspolitik steuern?“ Eine solche gemeinsame
Vergütungsstruktur müsse unbedingt regionale Unterschiede berücksichtigen. „Der
Arzt im Ruhrgebiet hat mit einer ganz anderen Patientendichte zu tun als der
Arzt im ländlichen Raum. Wenn ich regionale Problembereiche adressieren will,
muss sich eine Praxis auch strukturell so finanzieren lassen, dass sie sich
auch in Regionen mit geringerem Einkommen der Bevölkerung trägt“, forderte
Dryden. Ein Honorarmodell müsse also die Bereitstellung der notwendigen Versorgungsstruktur finanzieren und
regionale Unterschiede abfedern. Für Dryden war klar: „Wir brauchen eine
technische Bereitstellungspauschale
und eine ärztliche
Leistungspauschale.“
Jochen Brink, Präsident
der Krankenhausgesellschaft in Nordrhein-Westfalen, sah in der
sektorübergreifenden Versorgung und Vergütung die zentrale Aufgabe und Chance.
„Ärztemangel, erste Regionen mit Versorgungsdefiziten und nach wie vor
vorhandene Schnittstellenprobleme zwischen
den Sektoren zeigen: Das Problem der sektorenübergreifenden Versorgung ist nicht
gelöst. Zahlreiche Einzellösungen des Gesetzgebers vom Innovationsfonds bis
zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung haben bis heute kein System aus
einem Guss geschaffen. Wie könnte der ‚Big Bang‘ denn aussehen? Im Grunde
müsste man sich eine regionale Versorgungsstruktur ansehen und dann anhand der
zu erwartenden Krankheitsarten überlegen: Wie viele niedergelassene Ärzte, wie
viele Fachärzte und wie viele Krankenhäuser werden benötigt? Das wäre eine
Revolution der Planung. Wer aber soll dies umsetzen?“, fragte Brink.
Aus Sicht der nordrhein-westfälischen
Krankenhaus-Gesellschaft sollte es für die
nächste Legislaturperiode folgende Ansatzpunkte geben:
- Sektorenübergreifende Digitalisierung
- Sektorenübergreifende gemeinsame ambulante Notfallversorgung
- Weiterer Abbau von Schnittstellenproblemen zwischen den Sektoren ambulant, stationär, Rehabilitation und Pflege
- Weitere Modernisierung der doppelten Facharztschiene.
Die Krankenhausplanung der Länder im stationären Bereich
stehe heute einer bundeseinheitlichen Bedarfsplanung im Bereich der
Vertragsärzte gegenüber. Zur Berücksichtigung der länderspezifischen Unterschiede soll-te die Verantwortung der Länder für die regionale Versorgungsplanung gestärkt werden.
19 Sondertöpfe lassen Zweifel an der Vergütungseinheit zu
Aus vertragsärztlicher
Sicht artikulierte Dr. Bernhard Rochell (Foto), Verwaltungsdirektor der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung, große Zweifel am Aufbau einer einheitlichen Vergütungsordnung. Angesichts von 19
Sonderregelungen für ambulant-stationäre Hybridleistungen falle der Glaube an
den Erfolg schwer. Eine für alle? Diese Frage werde ja von allen Protagonisten
immer wieder gestellt – speziell wenige Monate vor einer Bundestagswahl.
Angesichts einer extrem komplizierten Vergütungsstruktur
mit vielen Ausnahmen und Sonderregelungen riet Rochell hingegen von einer
Revolution der verschiedenen Vergütungssysteme mit dem Ziel einer
vereinheitlichten Gebührenordnung ab. „Das System besteht heute aus historisch
gewachsenen Unterschieden. Ich meine, wir sollten zunächst einmal ein
einheitliches System der Innovationsfinanzierung im belegärztlichen Bereich
und der ASV nach dem Verbotsvorbehalt [Innovation ohne vorhergehende Erlaubnis,
d. Red.] anpacken. In der Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung kann ein
besonderer Schwerpunkt auf die Förderung der ambulanten Weiterbildungen gelegt
werden. Die Notfallversorgung könnte man als Startpunkt einer gemeinsamen
einheitlichen Versorgung nehmen“, schlug Rochell vor. Viele der 19 heutigen
Sonderregelungen seien von der gegenwärtigen großen Koalition geschaffen oder
erweitert worden. „Ich finde es dann immer sehr spannend, wenn die gleichen
Protagonisten etwas später eine Vereinheitlichung der Gebührenordnungen
fordern. Kurz zuvor haben sie die Schatzkiste der Sonderregeln noch einmal
kräftig aufgefüllt“, kommentierte Rochell nicht ohne ironische Note. Dringend
empfahl er, das duale Krankenversicherungssystem zu bewahren, weil es
wenigstens den Wettbewerb innerhalb des Gesundheitssystems erlaube.
Wasem mahnt normative Entscheidungen der Politik an
„Es gibt gute Gründe, eine Harmonisierung der Vergütungen
zwischen Krankenhaus und vertragsärztlicher
Versorgung anzustreben“, unterstrich Prof. Jürgen Wasem, Lehrstuhl für
Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Im Unterschied zu Dryden
und Rochell glaubt Wasem auch an die Möglichkeit der Realisierung. „Die
Entscheidungen, die wir hierfür treffen
müssen, sind nicht nur faktenbasiert, sondern auch normativ politisch. Da darf
sich die Politik nicht wegducken. Auf der technischen Ebene stellt sich die
Aufgabe, gleiche Leistungen zu identifizieren, zu kalkulieren und Vergütungen
festzulegen. Auf der Seite der ärztlichen Leistungen ist dies schwieriger. Hier
gibt es auch grundsätzliche Unterschiede, die auf politischen Entscheidungen
beruhen. Dies gilt etwa für die Innovationsoffenheit oder
Investitionsfinanzierung. Auch wird sich die Frage stellen, ob der Charakter
der beiden Sektoren als budgetierte Systeme bei der Harmonisierung erhalten bleibt“,
hob Wasem hervor.
Auf der Ebene der
Gebührenordnung in EBM und DRG sei es notwendig, die gemeinsamen
Leistungsbestandteile zu extrahieren. Unterschiede im Patientengut seien hier
ebenso zu prüfen wie die Kosten- und
Vergütungsrelevanz im Sinne einer
Risikoadjustierung. „Ich würde einen Unterschied zwischen EBM und GOÄ auf der
einen Seite sowie EBM und DRG auf der anderen Seite machen. Wir übernehmen uns, wenn wir alles in
einem Rutsch schaffen wollen“,
bremste Wasem. Es würde ihn sehr wun-dern, wenn der „Big Bang“ Teil eines zukünftigen Koalitionsvertrags werden würde. Der Themenkomplex
EBM-GOÄ in Kombination mit der Frage ambulanter bzw. stationärer Leistungen
überfordere die Bundespolitik sicher.
Autor: Franz-Günter Runkel
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